Solarify dokumentiert: Die Rede im Wortlaut
Der Nachhaltigkeitsgipfel nationaler Art bringt ja immer wieder Vertreter aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft zusammen, um im Grunde Fragen zu beleuchten, die jeden Einzelnen betreffen – hier bei uns zu Hause, aber auch weltweit. Das Konferenzmotto bringt das sehr gut zum Ausdruck: „Globalisierung und nationale Verantwortung neu ordnen. Politische Innovationen für Nachhaltigkeit.“ In der Tat ist es ja so, dass Globalisierung und nationale Verantwortung eng zusammenhängen. Globalisierung ist ja nicht etwa ein Schicksal, dem wir uns tatenlos fügen müssten, sondern vielmehr das, was die einzelnen Nationen, was die einzelnen Völker daraus machen.
Wir spüren, dass die globale Vernetzung mehr und mehr zunimmt. Wir arbeiten mehr miteinander, wir tauschen uns untereinander mehr aus, wir lernen und wissen mehr voneinander. Daraus ergeben sich, wenn wir aufeinander zugehen, auch immer wieder neue Perspektiven. Und aus Perspektiven können Chancen werden – sei es in der Wirtschaft, sei es in der Wissenschaft, sei es in der Kultur oder in anderen Bereichen.
Das ist die eine Seite der Globalisierung. Globalisierung bringt aber auch Herausforderungen mit sich. Es ist daher vielleicht auch unbequem, wenn man sich darauf einlässt und versuchen will, Globalisierung als Chance zu begreifen. Wer aber seine Werte und Prinzipien gewahrt sehen will, muss sich aktiv in den Gestaltungsprozess einbringen. Das ist unser Anspruch in Deutschland. Wir machen uns national Gedanken, wir streiten national über den richtigen Weg, aber wir bringen uns auch in Europa und international ein. Wir werden stärker dadurch, dass wir in Europa gemeinsam auftreten. So können wir unsere gemeinsamen Ziele auch besser durchsetzen.
Weltweit sind wir von einem nachhaltigen Leben, Wirtschaften und Arbeiten noch weit entfernt – an einigen Stellen auch in Deutschland; das muss man ganz offen sagen. Das zeigt sich auch in gewaltigen wirtschaftlichen und sozialen Unterschieden. Wir nähern uns den Belastungsgrenzen der Erde und haben sie zum Teil schon überschritten. Ich will zwei Beispiele nennen.
800 Millionen Menschen leiden heute noch an Hunger. Das sind zehnmal so viele Menschen, die in Deutschland leben. Die Nahrungsmittelproduktion müsste bis 2050 bis zu 70 Prozent steigen, wenn wir – und das wollen wir ja – die wachsende Weltbevölkerung ausreichend mit Essen versorgen wollen. Gleichzeitig ist der Gewinn neuer Anbauflächen eine Hauptursache für den Verlust von Waldflächen. Zuletzt lag der jährliche Rückgang bei rund 13 Millionen Hektar. Das bleibt wiederum nicht ohne Folgen für das Klima.
Energie, [[CO2]]-Ausstoß und Armut: „Wir brauchen einen Paradigmenwechsel“
Oder blicken wir auf die Energiegewinnung: Einerseits hat sie einen sehr hohen Anteil am [[CO2]]-Ausstoß, andererseits haben laut Internationaler Energieagentur rund 1,3 Milliarden Menschen gar keinen Zugang zur Elektrizität. Dass auch sie einen Anspruch erheben, mit Elektrizität versorgt zu werden, ist natürlich völlig nachvollziehbar, auch wenn das in der Umsetzung nach Maßgabe der heutigen Energieproduktion hieße, dass die Emissionen schädlicher Treibhausgase weiter zunehmen würden.
Schon allein die von mir genannten Beispiele zeigen: Wir brauchen einen Paradigmenwechsel. Gelingt uns ein solcher Paradigmenwechsel nicht, dann entziehen wir nachfolgenden Generationen wichtige Lebensgrundlagen. Der Blick in die Zukunft gehört zur Befassung mit Nachhaltigkeit. In den kommenden Monaten haben wir besondere Chancen, Weitsicht zu beweisen. Klaus Töpfer, der ehemalige Exekutivdirektor des UN-Umweltprogramms, hat kürzlich gesagt – ich zitiere: „2015 müsste man eigentlich das Jahr der Nachhaltigkeit nennen.“ Ob wir das dürfen, können wir erst entscheiden, wenn dieses Jahr vorbei ist. Auf jeden Fall sind die Chancen dazu da.
Deshalb ist der G7-Gipfel auch eingebettet in die Agenda dieses Jahres. Denn die sieben führenden Industrienationen können und sollten auch zeigen, dass sie ihrer besonderen globalen Mitverantwortung Rechnung tragen. Denn eines ist auch klar: Die Industrienationen haben an vielen Beispielen Übernutzung praktiziert und haben deshalb eine höhere Verantwortung, durch innovative Technologien und durch Vorleben des Paradigmenwechsels zu zeigen, wie es auch anders geht.
Es wird in Addis Abeba darum gehen, für die internationale Staatengemeinschaft neue Wege der Entwicklungsfinanzierung auszuloten. Im September – Frau Thieme hat darauf hingewiesen – wird es darum gehen, neue globale Ziele für nachhaltige Entwicklung anzustreben; diesmal interessanterweise nicht nur für die Entwicklungsländer, sondern eben auch für große und kleine, arme und reiche Länder. Alle werden mit diesen Entwicklungszielen in die Verantwortung genommen. Das birgt zwar auch die Gefahr, dass sie nicht mehr ganz so griffig sind wie die Millenniumentwicklungsziele, aber es zeigt, dass wir alle vor der gleichen Aufgabe stehen. Deshalb finde ich diesen Gesamtansatz richtig.