nefo: Welche Rolle spielen die offenen Ozeane für die globale Wirtschaft?
Boetius: Im Rahmen des G7-Treffens steht für die Politik zum Thema Ozean vermutlich die Flüchtlingswelle über die Meere auf der Agenda. Abgesehen von diesem Brennpunkt sind überhaupt internationale Rahmenbedingungen für den Verkehrsraum Ozean relevant für die globale Wirtschaft. Denn Handelswege zur See führen ja nicht nur entlang der Küsten, sondern vor allem über die offenen Ozeane. Zwischen 80 und 90 Prozent aller Güter werden über die Meere transportiert, sei es als Rohstoff oder fertiges Produkt. Damit sind die Ozeane als Verkehrsraum die Basis unserer globalen Wirtschaft.
In globalen Wirtschaftsverhandlungen und beim Thema Sicherheit spielen also die Meere und vor allem Häfen oft eine zentrale Rolle.Es gibt zunehmende Probleme durch Piraterie, politische Unsicherheiten in vielen der für den Handel wichtigen Küstenländer, aber auch wegen der brandaktuellen Flüchtlingsproblematik per Schiff. Doch in den politischen Prozessen zu Gesundheit oder zum Schutz von Artenvielfalt kommen die Ozeane im Vergleich zu terrestrischen Ökosystemen selten vor. Auch beim Thema Sicherheit war das bisher so. Durch die aktuellen Probleme ändert sich dies nun allerdings.
Außerdem werden die Ozeane aus wirtschaftlicher Sicht noch immer als die Zukunftsressource für Gas und Öl betrachtet, also die Basis für eine Wirtschaft, die auf fossilen Energieträgern basiert. Energie steht ja auch auf der Agenda des G7-Gipfels in Elmau. Deutschland hat hier gemäß der Akademien-Empfehlungen einen Vorstoß gewagt und die anderen Länder aufgefordert, sich klare Klimaziele zu setzen, die Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen zu verringern. Hier wechselt sich der Druck auf die Ressourcen im Meer mit dem auf die ebenso umstrittene Erschließung von Landressourcen durch Fracking ab.
nefo: Spielen denn auch die Auswirkungen der wirtschaftlichen Nutzung auf die marinen Ökosysteme eine Rolle?
Boetius: Der Dialog der Politik mit den Akademien im Vorfeld des Gipfels soll ja für eine breitere Einbindung der für die Zivilgesellschaft wichtigen Themen sorgen. Im G7-Papier zu den Ozeanen haben wir vor allem die Haupttreiber für die zunehmende Belastung der marinen Ökosysteme thematisiert, verbunden mit der Bitte um internationale Einigung und politische Entscheidung durch die G7-Staaten. Dringend notwendig sind Vermeidung und Regulierungen von Verschmutzung, Überfischung, Versauerung der Meere durch CO2-Zunahme. Klimaziele werden sicher behandelt – wir würden uns auch wünschen, dass Fischerei und mariner Umweltschutz Themen beim G7-Gipfel würde.
nefo: Welche Trends beobachten Sie derzeit bzgl. der Biodiversität in Ihrem Spezialgebiet, der Tiefsee?
Boetius: Wir sind in der Tiefsee eigentlich immer noch Entdecker, die herausfinden müssen: Was lebt wo? Welche Funktionen hat die Vielfalt des Lebens? Zu den grundlegenden biologischen Fragen gehört auch von was die Arten leben und wie die oft dünnen Populationen überleben, wo es doch so ein energielimitierter Lebensraum fern jeglichen Sonnenlichtes ist. Meeresbiologen haben ja zwischen 2000 und 2010 eine weltweite Initiative durchgeführt, den Census of Marine Life, die Volkszählung der Meere, wo auch die Biodiversität der Tiefsee ins Auge gefasst wurde. Ergebnis davon waren vor allem unglaubliche Zahlen über das noch unbekannte Leben im Meer, geschätzt eine Millionen von Tierarten, deren Entdeckung noch zu erwarten ist, im Bereich der Mikroorganismen liegen die Hochrechnungen sogar bei einer Milliarde unbekannter Arten.
Diese Schätzungen beruhen jedoch auf räumlich gesehen geringen Stichproben im Vergleich zur Größe der Tiefsee, da die Datenaufnahme technisch sehr aufwändig ist. Es gibt dabei kaum Langzeitaufnahmen und so auch wenig Erkenntnis zur Dynamik der Vielfalt in der Tiefsee. Um die Gefährdung der Arten einschätzen zu können, muss man wissen, wie sich die Organismen verbreiten und wie die Lebensräume verschiedener Arten verteilt sind. Sind sie fragmentiert oder über Wasserströmungen verbunden? Welche Arten sind global verteilt und können lokale Störungen und Eingriffe ausgleichen? Neue Ergebnisse zeigen, dass der Großteil der Arten, von Mikroben bis hin zu den mobilen Krebsen oder Fischen, klar regional begrenzte Lebensräume hat. Dies muss natürlich bei der Entwicklung von Schutzzonen mitbedacht werden.
Folgt: nefo: Was bedeutet dies konkret für politische Maßnahmen?