nefo: Was bedeutet dies konkret für politische Maßnahmen?
Tiefseefischerei macht an sich nur wenige Prozent des gesamten Fischerei-Ertrages aus, ist aber ein erheblicher Faktor bezüglich der Gefährdung der marinen Biodiversität, da vor allem an Seebergen und Tiefseekorallenriffen gefischt wird, die zu den vielfältigsten Lebensräumen im Meer gehören. Gefischt wird oft mit Schleppnetzen, die den Meeresboden umpflügen und weitgehend zerstören. Da Stoffwechselprozesse dort unten sehr langsam ablaufen, dauert auch die Regenerierung entsprechend sehr lange. Dadurch ist Tiefseefischerei nicht nachhaltig zu machen, weshalb die Wissenschaft zum Beispiel zum Schluss gekommen ist, dass man benthische Tiefseefischerei komplett verbieten müsste. Einige Länder, Wissenschafts- und Naturschutzorganisationen sind bereits dran, diesen Vorschlag in die Politik zu bringen.
nefo: Enthält auch die G7-Stellungnahme diese Forderung?
Boetius: Nein, so detailliert ist sie nicht geworden, wir hatten ja nur knapp drei Seiten Platz, für viele verschiedene Probleme und Empfehlungen. Doch die Stellungnahme empfiehlt eine umfassende internationale Abstimmung bei Schutzkonzepten und der Fischereiwirtschaft. Dabei wird das Oberziel formuliert, dass Fischerei nachhaltig werden muss. Da Tiefseefischerei nicht nachhaltig sein kann, steckt hierin auch indirekt ihr Ausschluss.
nefo: Enthält der Bericht denn dann etwas Neues?
Boetius: Tatsächlich steht eine neue, fast ungehörige Forderung im Text. Und zwar sollen Fischpopulationen und ihre Lebensräume, nicht nur erhalten, sondern überfischte Bestände auch wieder restauriert werden. Das ist schon sehr mutig, dies so zu formulieren. Wie es auch angesichts der heutigen Umstände kühn erscheint, nach dem Umbau der Wirtschaft zu einer emissionsfreien Industrie zu verlangen – oder wie die Bundeskanzlerin es mehrfach formulierte – einen „vollständigen Umstieg auf kohlenstofffreies Wirtschaften“. Das hätten auch Wissenschaftsakademien vor zehn Jahren vermutlich noch nicht so im Konsens geschrieben und die Politik wohl auch nicht so in den Mund genommen. Das kann jetzt natürlich bedeuten, dass die Zeiten sich geändert haben – hoffentlich folgt auch entsprechendes Handeln.
nefo: Bedeutet das, dass der Stellenwert der wissenschaftlichen Politikberatung heute höher ist, so wie das Selbstbewusstsein der Forschung und die Akzeptanz in der Politik?
Boetius: Das würde ich so sagen, ja. Es scheint auch einen Wertewandel in der Politik zu geben. Heute fordert die CDU-Regierung, was früher nur die Grünen formuliert haben. Hier spielt eine beharrliche Politikberatung eine wesentliche Rolle, bspw. durch das Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung PIK oder den Wissenschaftlichen Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU), die im Wesentlichen ja schon seit 20 Jahren sagen, was in dem Papier steht. Oder was Umweltfragen und Biodiversität angeht, scheinen mir auch Politikschnittstellen wie NeFo eine zunehmende Rolle zu spielen, wissenschaftliche Erkenntnis so zu kommunizieren, dass klare Stellungnahmen zu nötigem Handeln erkennbar werden.
nefo: Welche Forderungen stellen Sie noch im G7-Papier?
Boetius: Ein anderer Punkt ist die Meeresverschmutzung. Eine große Rolle spielt hier einerseits der Schiffsverkehr, der weltweit weiterhin Einträger von Chemikalien aber auch Plastikmüll ist, auch wenn dies in den letzten Jahrzehnten durch internationale Abkommen und die Arbeit der IMO verbessert wurde. Hier fordern wir hohe Standards der Überwachung der Schifffahrt, was inzwischen auch die USA unterstützen. Das Konzept wäre hier, ähnlich wie im Flugverkehr, eine Verpflichtung für die Installation von Blackboxes einzuführen, sodass man jedes Schiff und seine Aktivität nachverfolgen kann. Das gleiche gilt für Fischtrawler. So könnte man auch der illegalen Fischerei auf die Spur kommen. Aber auch Verschmutzung durch Öl- und Gasförderung spielt hier eine wesentliche Rolle, wo wir ebenfalls eine starke Regulierung und Überwachung fordern. Zudem wäre eine Verpflichtung der Industrie zum Umweltmonitoring vor, während und nach Eingriffen sehr wichtig.
nefo: Ist das denn machbar?
Boetius: Sicher. Das ist zwar teuer, aber durchaus möglich. Der Ansatz wäre hier, die Kosten für Umweltmonitoring auf die Gewinne aus Gas und Öl umzulegen. Die USA sind nach der Katastrophe im Golf von Mexiko bereits dabei, Kosten für Versicherungen für den Schaden nach Unfällen im Ölpreis zu berücksichtigen. Es wäre besser, auch gleich Abgaben für Umweltmonitoring und Schutzkonzepte einzuführen.