ESYS und Humboldt-Viadrina Governance Platform zum Thema – ein Artikel auf EurActiv – mit freundlicher Genehmigung
Euractiv weist darauf hin, dass dieser Beitrag von Carolina Höpfner und Katja Treichel die Meinung der Autorinnen wiedergibt und nicht notwendigerweise den Standpunkt von EurActiv. Das ambitionierte Ziel der europäischen Energiewende ist die Transformation des gegenwärtigen Energiesystems. Dafür ist zwingend erforderlich, alle europäischen Akteure mit ins Boot zu holen, um durch Kooperation eine nachhaltige, wettbewerbsfähige und sichere Energieversorgung zu erreichen. Nicht nur die Industrie, sondern auch die Verbraucher können dazu beitragen.
Der Vizepräsident der Europäischen Kommission, Maros Sefcovic, betonte in einem Gespräch mit Bundesminister Gabriel am 24. Juni 2015 die Bedeutung der Energieunion und der gemeinschaftlichen Zusammenarbeit in der Energie- und Klimapolitik: „Die neuen Herausforderungen im Energie- und Klimabereich können wir in Europa gemeinsam, schneller, besser und kostengünstiger bewältigen. Darum geht es bei der Europäischen Energieunion. Allerdings kann das nicht allein von Brüssel aus passieren. Wir brauchen dafür neben einem verlässlichen und transparenten Umsetzungsrahmen die Unterstützung der Mitgliedsstaaten, Regionen, Kommunen, aber auch der Wirtschaft, der Sozialpartner und natürlich der Bürger.“
Die Energieunion soll einen kohärenten Gesamtrahmen für die Umsetzung der europäischen Energie- und Klimaziele herstellen, um das europäische Energiesystem wettbewerbsfähiger, nachhaltiger und sicherer zu gestalten. Die konkrete Ausgestaltung der einzelnen Koordinierungs- und Umsetzungsmechanismen ist offen, so dass das Gros der EU-weiten Zielerreichungen vorerst an den Initiativen und Selbstverpflichtungsmaßnahmen der Mitgliedstaaten liegt. Die Governance-Frage ist noch ungeklärt, insbesondere, wie die von Sefcovic betonte Unterstützung durch die gesellschaftlichen Akteure praktisch aussehen soll. Wenn aber die Energieunion zum Katalysator der dringenden Energiewende in Europa werden soll, ist die Einbeziehung der gesamten Gesellschaft in den Transformationsprozess unabdingbar – allein schon, um sie bei den zum Teil schwierigen Arbeitsmarktveränderungen zu begleiten, aber auch um bisher ungenutzte Potenziale zugänglich zu machen.
Bisher zielten nationale und europäische Energie- und Klimastrategien zu stark auf Veränderungen auf Seiten der Erzeuger ab, Lucia Reisch, Professorin an der Copenhagen Business School, betont, man werde mitnichten die Energiewende nur über die Produktionsseite voranbringen, sondern müsse auch die Nachfrageseite ganz fest im Blick haben. 26,8 Prozent der Endenergie werden von privaten Haushalten verbraucht, 25,1 Prozent gehen auf das Konto der Industrie. Neue Konzepte rücken zu Recht die Verbraucherseite stärker auf die Agenda, vor allem im Bereich des Energiesparens – denn ein erheblicher Anteil des Energieverbrauchs in privaten Haushalten geschieht ohne sinnvollen Zweck. Licht wird angelassen, Geräte stehen tage- und wochenlang auf Standby, oder die Wohnung wird geheizt, wenn niemand zu Hause ist.
Nudging (engl., „stupsen“) ist ein solches Konzept: Durch „Anstupsen“ werden kleine Impulse gegeben, die das Verhalten von Menschen beeinflussen sollen, ohne sie in ihrer Wahlfreiheit einzuschränken. Es ist ein relativ kosteneffizientes politisches Steuerungsinstrument mit geringer Eingriffstiefe für Bürgerinnen und Bürger – und zuweilen sogar effektiver als administrativ aufwendige Verbote oder teure finanzielle Anreize. Dennoch gibt es einige kritische Stimmen. Sie kritisieren das vermeintlich wenig invasive Anstupsen als eklatanten Eingriff in den Markt, z.B. bei großflächigen Warnhinweisen auf Produkte. Andere wiederum monieren die unterschwellige Beeinflussung, die anstelle einer kritischen öffentlichen Debatte und bewussten Entscheidung treten könne. Hier wird angemahnt, dass für die Umsetzung wichtiger gesellschaftlicher Ziele wie der Energiewende klare und direkte politische Instrumente angewendet werden sollten statt eines Nudges mit unsicheren Ergebnissen.
Die Arbeitsgruppe Gesellschaft des Akademienprojekts „Energiesysteme der Zukunft“ (ESYS – siehe: solarify.eu/akademienprojekt-energiesysteme-der-zukunft) ergründet derzeit viele dieser Aspekte der Frage, wie Nudging für die deutsche Energiewende eingesetzt werden kann. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler tauschen sich dazu regelmäßig interdisziplinär aus. Es werden auch gesellschaftliche Akteure in Dialogplattformen einberufen. Dieses Zusammenwirken von Politik, Wissenschaft, Wirtschaft und Zivilgesellschaft trägt dazu bei, breit akzeptierbare Lösungen für die Umsetzungshindernisse der Energiewende zu finden. Dabei ergeben sich Vorteile für alle beteiligten Akteure. Die Wissenschaft bekommt eine schnelle Rückmeldung aus der Gesellschaft und Praxis zur Anwendbarkeit ihrer Forschungsergebnisse. Die Politik erhält gesellschaftlich reflektierte Handlungsoptionen. Insgesamt entstehen hier neue Formen der Wissensgenerierung, außerdem wird die Akzeptanz und Verständigung zwischen den Akteuren gefördert. Gesellschaft und Wirtschaft sind schließlich mitnichten nur Interessenvertreter, sie sind auch Wissensträger.
Wie wichtig der Austausch ist, zeigte eine der Dialogplattformen, die Trialog-Veranstaltung der Humboldt-Viadrina Governance Platform zum Thema „Nudging – die Energiewende voranstupsen“ am 5. Mai 2015 in Berlin. Als Wissenschaftlerin der AG Gesellschaft bei ESYS konnte Lucia Reisch auf Seiten der Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus Politik, Wirtschaft und organisierter Zivilgesellschaft einige Missverständnisse über den verhaltensökonomischen Ansatz des Nudging in der Diskussion klären. Insbesondere der Vorwurf der Manipulation wurde durch den Grundsatz der Transparenz gemindert. Die ganztägige Veranstaltung erschloss neue Ideen wie z.B. eine Nudging-Toolbox für finanziell schwach aufgestellte Kommunen. Eine der wichtigsten Debatten des Tages kreiste darum, wie der Ansatz so in die politische Tool-Box integriert werden kann, dass das Ziel der Energiewende erfolgreich unterstützt wird.
Das politische Instrumentarium ist also keineswegs ausgeschöpft und kann durch neue Ansätze wie Nudging ergänzt und systematisiert werden. Der Austausch mit den europäischen Bürgerinnen und Bürger ist dazu wichtig. Nicht nur die Oberziele der Energiewende brauchen allgemeine Zustimmung, sondern auch deren konkrete Umsetzungsmaßnahmen. Nur so kann die Energiewende gelingen.
Die Autorinnen: Carolina Höpfner ist Outreach-Managerin und Katja Treichel Leiterin der Energie-Trialoge an der HUMBOLDT-VIADRINA Governance Platform gGmbH.