Freie Bürger, freie Forschung

 Die Wissenschaft verlässt den Elfenbeinturm

„Freie Fahrt für freie Bürger!“ war einmal ein zwar ziemlich problematischer aber umso erfolgreicher Slogan des ADAC. Ob Herausgeber Peter Finke bei seinerm Buch daran gedacht hat, wissen wir nicht, der Titel wird aber dank seiner recht gut merkbar. Der Untertitel „Die Wissenschaft verlässt den Elfenbeinturm“ tut ein Übriges. In seinem neuen Buch treibt Citizen-Science-Experte Peter Finke die Diskussion um die Bürgerwissenschaften weiter voran. Er sagt: „Der isolierte Elfenbeinturm hat ausgedient – ehrenamtliche Forschung revolutioniert den Wissenschaftsbetrieb“.

Buchtitel ‚Freie Bürger, freie Forschung‘ – Oekom Verlag

Die Stimmen, die Finke in seinem Buch versammelt hat, zeigen exemplarisch, worum es der Bürgerwissenschaft geht: „Eine Forschungswende und eine zumindest partielle Befreiung der Wissenschaft aus dem Elfenbeinturm. Namhafte Autoren, darunter Joachim Radkau, Uwe Schneidewind, Angelika Zahrnt, Hubert Weiger, Peter Berthold oder Josef Reichholf, plädieren in diesem Buch dafür, die Wissenschaft nicht den Berufswissenschaftlern allein zu überlassen, sondern sie aus der Mitte der Gesellschaft heraus aktiv zu verändern. In einem demokratischen Staat ist dies Bürgerrecht und Bürgerpflicht zugleich. Das Buch ergänzt und erweitert das Grundlagenwerk „Citizen Science: Das unterschätzte Wissen der Laien“, das von Finke 2014 im oekom verlag veröffentlicht hat und große Medienresonanz erfuhr.

Aus dem Vorwort:

„Wir brauchen eine Forschungswende hin in ein Zeitalter der Transdisziplinarität. Anders werden wir dasjenige nicht schaffen, was man die ‚Große Transformation‘ hin zu einer wirklichen Zukunftsfähigkeit des gesamten Lebens auf der Erde genannt hat. Zu versuchen, die einzelnen Disziplinen aus ihren Eigentumswohnungen im festungsgleichen Elfenbeinturm herauszulocken und der Wissenschaft Freiheit und Verantwortung für die Zusammenhänge zurückzugewinnen, ist längst an der Zeit.

Die Große Transformation wird ohne eine Forschungswende nicht erreichbar sein, und diese ist zwingend verbunden mit dem bewussten Übergang des einzeldisziplinären in das transdisziplinäre Zeitalter. Viele, die gerade in der einzelwissenschaftlichen Spezialisierung den Hauptgrund für die bisherigen Wissensfortschritte sehen, übersehen die existenziell gewordenen Kosten dieser zweifelhaften Strategie.

Schon die Erfindung der Interdisziplinären Forschung war ein notwendiger und sinnvoller Reparaturmechanismus der isolierten Einzelwissenschaften. Aber sie bleibt zu zaghaft, arbeitet nur übrig gebliebene Lücken zwischen benachbarten Fächern auf. Wirkliche Transdisziplinarität geht weit darüber hinaus. Sie scheut sich auch nicht davor, geltende Paradigmen infrage zu stellen, die nur im Schutze der Isolation gedeihen konnten. Wenn Forschungsverbünde aus den verschiedensten Disziplinen zur Selbstverständlichkeit würden, wird nur unberechtigte Macht beschnitten, nicht Verantwortungsbewusstsein und Kompetenz. Diese werden gestärkt.

Die Idee von Wissenschaft teilen alle gemeinsam. Aber die Perspektiven auf diese aus Sicht der heutigen Profis und aus Sicht der Nichtprofis enthüllt sehr verschiedene Rahmenbedingungen. Unser gemeinsames Buch nimmt einen neuen Anlauf dazu, sie einander wieder anzunähern, denn es hat eine Gegenwelt zur akademischen Realität anzubieten, die es gibt: die der Bürgerwissenschaft mit ihrer verlockenden Freiheit, die sich gleichwohl eher an Allgemeininteressen orientieren, als an Spezialinteressen. Sie ist im Erkenntnisanspruch oft bescheidener, aber im Wert, den sie auf Unabhängigkeit legt, durchweg anspruchsvoller. Sie macht nicht den Fehler, sich über moralische Grenzen im angeblichen Namen der Freiheit hinwegzusetzen, und ist doch ein Vorbild an Freiheit. Sie ist keine inhaltliche Konkurrenz, wohl aber eine in Sachen Unabhängigkeit und Selbstorganisation. Nicht alle ihre Vorteile kann man auf die Berufswissenschaft der akademischen Profis übertragen, aber einige schon. Und darum geht es. Wenn dort das Bewusstsein der Verluste wieder deutlicher würde und die Bereitschaft zum Widerstand gegen die eigennützigen Helfer wieder größer, wäre viel gewonnen.

[note Peter Finke ist laut Verlagsangabe der führende Experte ehrenamtlicher Wissenschaft. 25 Jahre lang war er Professor für Wissenschaftstheorie an der Universität Bielefeld. Aus Protest gegen die politische Durchsetzung der Bologna-Reform hat er sich vor seiner Pensionierung in den Ruhestand versetzen lassen.]

Peter Finke (Hrsg.): Freie Bürger, freie Forschung. Die Wissenschaft verlässt den Elfenbeinturm. 208 Seiten, Paperback, ISBN 978-3-86581-710-5, 19,95 Euro / 20,60 Euro (A). Erhältlich auch als E-Book.

->Quelle: oekom.de