Wissenschaftshistoriker der Uni Jena an EU-Großprojekt zur Geschichte der Kernenergie in Europa beteiligt
„Atomkraft, nein danke!“-Aufkleber zieren zwar nur noch wenige Autos – er ist aber Ausdruck eines gesellschaftlichen Umgangs mit dem Thema Kernenergie. Der ursprünglich amerikanische Werbeslogan „Unser Freund, das Atom“ macht sich da skurril bis zynisch aus. Politisch haben sich die Einstellungen gegenüber der Atomkraft nach der Fukushima-Katastrophe verändert. Doch während u. a. in Deutschland der Ausstieg im Eilverfahren beschlossen wurde, halten andere europäische Staaten weiter an der Nukleartechnologie fest. Diesen Entscheidungen liegen historisch gewachsene Strukturen zu Grunde, die nun in einem EU-Großprojekt unter Mitwirkung von Wissenschaftshistorikern der Friedrich-Schiller-Universität Jena untersucht werden.
Das am 11.06.2015 gestartete Projekt „History of Nuclear Energy and Society (HoNEST)“ fördert die Europäische Union mit rund drei Millionen Euro. Die ländervergleichende Studie soll die Erfahrungen mit Kernenergie aus den vergangenen 70 Jahren in 20 europäischen Staaten zusammentragen. Damit sollen Erklärungen über die Vielfalt und den Wandel der Beziehungen der europäischen Gesellschaft zur Kernenergie auf Basis der historischen Erfahrungen möglich werden. Das dient zum einen der Politikberatung, zum anderen sollen Kontroversen zwischen den verschiedenen Interessengruppen und der europäischen Öffentlichkeit analysiert werden. Fragen zur Risikobewertung und besonders zur Endlagerung haben die Debatten in den vergangenen 70 Jahren immer wieder stark geprägt.
Ein weiterer Schwerpunkt liegt auf den unterschiedlichen nationalen Projekten der europäischen Staaten. Während in den westeuropäischen Ländern größtenteils das amerikanische Atomenergie-Know-how übertragen wurde, versuchten sich die osteuropäischen Staaten, bzw. jene, die in den Händen der sowjetischen Besatzungsmacht lagen, entweder an eigenen Projekten oder wurden in die sowjetischen Programme eingegliedert.
Die Länderstudien aus Österreich und Deutschland bzw. der ehemaligen DDR liefern Dr. Christian Forstner und Bernd Helmbold vom Institut für Geschichte der Medizin, Naturwissenschaft und Technik (Ernst-Haeckel-Haus) der Universität Jena. Die beiden Wissenschaftler sammeln hierfür Daten aus Archiven in Österreich und Deutschland und führen Interviews mit Zeitzeugen. „Wir gehen davon aus, dass die nationale Nuklearpolitik nur in einem breiteren inter- und transnationalen Rahmen verstanden werden kann“, so Forstner, der im Rahmen seiner Habilitation das Projekt an der Jenaer Universität leitet. Dabei können die Forscher an die Erkenntnisse ihres aktuellen DFG-Projektes zu Max Steenbeck anknüpfen, der den Aufbau der Kernenergie in der DDR maßgeblich mitgestaltete.
Deutschland und Österreich haben eine lange Tradition in der Kernenergieforschung. Nach dem Zweiten Weltkrieg war es beiden Ländern jedoch nicht möglich, eigene nationale Atomenergieprogramme zu entwickeln: Zum einen aus wirtschaftlichen Gründen, zum anderen wegen politischer Beschränkungen. Nicht nur in der DDR die Russen, auch in Westdeutschland wollten die Allierten nationale Sonderwege in der Nukleartechnologie verhindern. Um gesellschaftliche Akzeptanz warb man in Deutschland dennoch. So war der ursprünglich amerikanische Werbeslogan „Unser Freund, das Atom“ nur einer der vielen Versuche, die Gesellschaft der 50er Jahre für die neue Technologie zu begeistern.
Während in der DDR die Nukleartechnologie der Sowjetunion übernommen wurde, baute Österreich nach 1955 mit Hilfe der USA seine Kernenergie aus. Die Amnerikaner handelten dabei nicht uneigennützig: Um eine militärische Nutzung zu unterbinden und weil der USA an der Patentsicherung gelegen war, stellten sie sogar Forschungsreaktoren als Komplettpakete zur Verfügung.
Für Forstner ist der Umgang Österreichs mit Kernenergie doppelt interessant: Einerseits kooperierte Österreich sehr stark mit internationalen Organisationen wie der Internationalen Atomenergiebehörde IAEA (kein Wunder – saß diese doch in Wien, und Österreich war dankbar für den Zuschlag der UN), andererseits scheiterte das österreichische Atomprogramm in den 70er Jahren – dank einer Volksabstimmung, die das geplante Kernkraftwerk Zwentendorf ablehnte. „Die Analyse dieses Scheiterns Österreichs ist von entscheidender Bedeutung für das Verständnis der aktuellen Entwicklungen in mehreren anderen europäischen Staaten, die den Atomausstieg anstreben oder bereits hinter sich haben“, ist Dr. Forstner überzeugt.
->Quelle: uni-jena.de