Der Untertitel des Buches „Das unterschätze Wissen der Laien“ scheint einige zu verführen, zu glauben, jeder Laie sei automatisch ein guter Bürgerwissenschaftler. Stimmt das?
Ich habe immer darauf hingewiesen, dass wir alle Laien sind, auch die Profis, nämlich auf all den Gebieten, auf denen sie eben gerade nicht Profis sind. Dennoch nehmen wir für uns in Anspruch, nicht völlig dumm und unwissend zu sein. Laienvernunft ist Alltagsvernunft; der Wissenschaftsforscher Paul Feyerabend hat zu Recht gesagt, dass nur Laien die Profis kontrollieren können. Und etwas anderes ist auch völlig klar: Jeder gute Bürgerwissenschaftler hat viel lernen müssen und muss stets weiter lernen. Wer forschen will, aber keine formelle Ausbildung zum Forscher absolvieren konnte, muss auch lernen. Mit den heutigen Möglichkeiten geht das viel besser als jemals zuvor. Ein Mensch, der auf einer pflanzenkundlichen Exkursion durch Unfähigkeit auffällt, wird nur dann anerkannt und Teil der Gemeinschaft werden, wenn er hinzulernt. Doch das ist möglich.
Zum Schluss noch ein anderes Thema: Welche Wissenschaften haben bei Citizen Science die Nase vorn und warum sind andere, zum Beispiel Geistes- und Kulturwissenschaften, kaum vertreten?
Im Unterschied zu den empirischen Wissenschaften bewegen sich die Geistes- und Humanwissenschaften hauptsächlich in sehr abstrakten theoretischen Gefilden – für viele darin nicht Geschulte eine Art Glatteis, das dann auch Möchtegernphilosophen und Scharlatane hervorbringt. Aber auch hier darf man nicht alles über einen Kamm scheren: Es gibt überall regionale literarische und künstlerische Kreise und Gruppen, die genau das tun, wasin unserer durch die Einzelwissenschaften dominierten heutigen Zeit fehlt, nämlich Zusammenhänge reflektieren und kritisch hinter den jeweiligen Mainstream blicken. Dort ruht noch ein wichtiges Potenzial, das nur wachgerufen werden muss. Hier gibt es Graswurzelbewegungen in virtuellen Netzwerken, bisweilen auch in physisch lebendigen Zirkeln. Ich bin fast sicher, dass die kulturell, künstlerisch und auch politisch interessierten Bürgerwissenschaftler uns noch positiv überraschen werden.
Peter Finke, emeritierter Professor für Wissenschaftstheorie an der Universität Bielefeld, hat 2014 die erste Darstellung von Citizen Science, der Bürgerwissenschaft, aus Sicht einer kritischen Wissenschaftstheorie als deutschsprachiges Buch vorgelegt (Citizen Science: Das unterschätzte Wissen der Laien). 2015 hat er einen Sammelband nachgeschoben (Freie Bürger, freie Forschung: Die Wissenschaft verlässt den Elfenbeinturm – siehe solarify.eu), in dem er gemeinsam mit 35 weiteren Wissenschaftlern dafür wirbt, im Lichte der Bürgerwissenschaft zu erkennen, wie reformbedürftig viele Aspekte der Akademischen Wissenschaft sind.