Stresstest: Zu wenig Rückstellungen für AKW-Rückbau, Abtransport und Endlagerung
BMWi: Noch kein Stresstest-Ergebnis
Einige Zeitungen kennen bereits den Stresstest des BMWi für die Atomkraftwerke der Republik – das BMWi sagt: Der ist noch gar nicht fertig. Der – angebliche – Stresstest zeigt laut Rheinischer Post: „Die Rückstellungen sind viel zu gering“. So sollen E.ON bis zu zwölf, RWE bis zu zehn zwölf Milliarden Euro fehlen, auf EnBW und Vattenfall kämen gleichermaßen Milliarden-Fehlbeträge. Entsprechend stürzten die Aktien der Atomkonzerne ab. Das nennt Wirtschaftsminister Gabriel „unverantwortliche Spekulationen“. Ein BMWi-Beamter bezeichnete die 30-Milliarden-Lücke denn auch als „völlig unrealistisch“.
„Das Bundeswirtschaftsministerium hat im Juni 2015 einen Stresstest in Auftrag gegeben. Hierbei wird geprüft, ob die von den Kernkraftwerksbetreibern gebildeten Rückstellungen für den Rückbau und die Stilllegung der Kernkraftwerke sowie für die Entsorgung und Endlagerkosten vollständig und ausreichend sind. Neben der gutachterlichen Bewertung soll die Stellungnahme auch der Transparenz zu Kostenarten und zeitlichen Perspektiven dienen.“ (Pressemitteilung des BMWi)
Hatten E.ON und Co. bisher 38 Milliarden Euro zurückgelegt, so sollen jetzt 30 Milliarden mehr nötig sein, um die AKW strahlungssicher abzureißen (vornehm: „Rückbau“), ein Endlager zu finden, und die radioaktiven Überreste jahrtausendelang terrorsicher zu lagern. Zu diesem Ergebnis kommt laut den Berichten ein Stresstest, den ein Team des Düsseldorfer Wirtschaftsprüfers Warth Klein Grant Thornton unter Leitung von Martin Jonas und Heike Wieland-Blöse im Auftrag des BMWi demnächst abschließt.
Größter Kurssturz seit E.ON-Gründung
Das Handelsblatt berichtete, dass Anleger die EVU-Aktien „in hohem Bogen aus ihren Depots“ werfen. Eon und RWE, „sowohl im Dax als auch im EuroStoxx50 die größten Verlierer“, hätten zeitweise soviel verloren „wie seit Jahrzehnten nicht“. RWE fielen auf den niedrigsten Stand seit einem Vierteljahrhundert (10,18 Euro); E.ON seien mit 7,46 Euro „so billig wie nie“ gewesen. Durch den Ausverkauf – so das Handelsblatt weiter – seien innerhalb weniger Stunden Börsenwerte von 1,3 Milliarden Euro vernichtet worden. Anderen Berichten zufolge ist RWE an der Börse nur noch sieben Milliarden Euro wert; E.ON hat nur noch eine Marktkapitalisierung von 17 Milliarden – mit fallender Tendenz.
Gabriel: Noch gar keine Resultate
Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel nahm am 15.09.2015 Stellung zu den aktuellen Spekulationen über den vom BMWi beauftragten Stresstest zu Rückstellungen für den Rückbau und die Stilllegung von Kernkraftwerken: „Die aktuellen Zahlenspiele sind keine Grundlage für unser konkretes politisches Handeln. Im Gegenteil: Es gibt noch gar keine Ergebnisse des Stresstests. Und dem Bundeswirtschaftsministerium liegt auch kein Entwurf des Gutachtens über diesen Stresstest vor. Szenarien für mögliche spätere Verhandlungen, die der Gutachter anscheinend unterstellt, macht sich das Wirtschaftsministerium ausdrücklich nicht zu eigen.“ Für die negativen Marktreaktionen gibt es aus Sicht des BMWi „überhaupt keinen Anlass“, stellte der Minister klar. (Aus: Pressestatement Gabriel)
Streit über falsche Zins-Annahmen
Laut Stresstest reichen die 38,6 Milliarden Euro Rückstellungen zwar für den Abriss der Meiler aus, nicht aber für Suche, Bau und Sicherung eines Endlagers. Die Differenz resultiert daraus, dass die Konzerne mit zu hohen Zinssätzen rechnen – so will RWE die Rückstellungen mit 4,7 Prozent verzinsen lassen. Die Gutachter rechnen aber, dass der Realzins nach Abzug der Inflationsrate negativ sein wird. Dies bestreiten die Konzerne. Allerdings könnte auch gar keiner von ihnen die Rückstellungen erhöhen. Dazu kommt, dass das Geld in Kohle- und Gas-Kraftwerken gebunden ist, deren Wert ständig sinkt.
Auf Grundlage der Stresstest-Resultate wird sich bald eine unter anderen mit Atomkritikern wie Jürgen Trittin und Klaus Töpfer besetzte Expertenkommission mit der Organisation des Atomausstiegs befassen. Von der wird im Lichte der Milliarden-Lücke erwartet, dass sie darauf dringen wird, den Strom-Konzernen die Rückstellungen zu entziehen, so lange noch Geld da ist. Ein entsprechende öffentlich-rechtlicher Fonds ist seit langem in der Diskussion. Dem wollen die EVU aber nur dann folgen, wenn sie gleichzeitig auch von ihren Verpflichtungen entbunden werden.
Solarify versteht nicht, wie die Strombosse jahrelang blind und arrogant die Zeichen der Zeit verschlafen konnten (denn es wurde ihnen oft gesagt, dass ihr Marktsystem ein Auslaufmodell sei), warum sie jetzt glauben wollen, dass am Ende doch die Steuerzahler und -zahlerinnen einzuspringen gezwungen werden – kurz, warum der Bürger krasse, noch dazu absehbare Management-Versäumnisse tragen soll. Und mit nicht minder kopfschüttelndem Unverständnis registriert Solarify die Kursstürze: Sollten die Anleger allen Ernstes so schlecht informiert gewesen sein, dass sie davon überrascht worden sind? Dann werden sie wohl ebenso davon überrascht sein, dass im Rahmen der anschwellenden Divest-Bewegung bald milliardenschwere Investitionen in Kohlekraftwerke zurückgezogen werden. Und die Kurse weiter abstürzen – selbst wenn es jetzt (17.09.2015) wieder heißt, der Markt habe „nur den Boden getestet“, die EVU-Kurse steigen wieder...
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