Suffizienz nicht Verzicht sondern Gewinn

Gerhard Scherhorn: Wachstum oder Nachhaltigkeit

Das zentrale Menschheitsproblem neben dem Klimawandel und der Armut ist der Substanzverzehr, der Verbrauch der Gemeingüter, seine Ursachen die Fixierung auf Wirtschaftswachstum und kurzfristiges Denken. Die großen Krisen der Gegenwart, wie Lehman Brothers, Massenflucht, Klimakatastrophe sind Bankrotterklärungen der Kurzfristigkeit. Die Lösung liegt im Ende der Wachstumspolitik, in einer Politik der Nachhaltigen Entwicklung. Diese lässt die nachhaltige Produktion in den Grenzen des Substanzerhalts wachsen und die nicht nachhaltige schrumpfen. Sie wird erst gelingen, wenn langfristiges Denken das kurzfristige abgelöst hat, wenn nicht immer noch mehr Wachstum, sondern Nachhaltigkeit das Ziel der Wirtschaftspolitik ist. Das erfordert eine neue Verantwortlichkeit für die Gemeingüter. Und es ist durchsetzbar, wenn die im Grundgesetz festgelegte Sozialbindung des Eigentums auf das Kapitaleigentum ausgedehnt wird.

Der Sozialökonom und Konsumtheoretiker Gerhard Scherhorn, emeritierter Professor an der Universität Hohenheim, „besticht in seinem vom Altius Verlag herausgegebenen Band ‚Wachstum oder Nachhaltigkeit‘ mit messerscharfen Analysen vom sozialen Wesen Mensch und seinen (wirklichen) Bedürfnissen, vom Wachstumsparadigma, das von Politik, Wirtschaft und schließlich auch vom Konsumenten gepredigt und durchgesetzt wird und von der Ausbeutung (oder Kultivierung) der Gemeingüter. Hervorzuheben sind die zahlreichen Problemanalysen, die Scherhorn dann zu Lösungsansätzen führt“. (Stephan Bohle auf futurestrategy.de/wachstum-oder-nachhaltigkeit)

Der Moraltheologe und Sozialethiker Johannes Hoffmann, neben Scherhorn Mitbegründer der Forschungsgruppe Ethisch-Ökologisches Rating an der Frankfurter Universität (die den Band in ihrer Reihe „Geld & Ethik“ herausgibt) im Vorwort: „Es ist eine ethische Frage, ob die Wirtschaft in die Erhaltung der naturgegebenen Güter – wie Artenvielfalt, Bodenfruchtbarkeit, Fischreichtum, Klimasystem, Luft- und Wasserreinheit, Rohstoffvorräte reinvestiert oder ob sie wie bisher die Kosten dafür spart, den kurzfristigen Gewinn maximiert und die Substanz verzehrt. Es ist eine ethische Entscheidung, ob die Wirtschaftstheorie wie bisher allein das Privateigentum oder auch das Gemeineigentum an den naturgegebenen Gütern schutzwürdig findet, und ob sie sich wie bisher allein auf die eigennützigen oder auch auf die sozialen Motive des Menschen verlässt.“

Zukunftsfähigkeit der Menschheit

Die in dem nicht nur für den Ökonomen interessanten, sondern alle Akteure, die Wachstum dem Nachhaltigkeitsparadigma unterordnen wollen, ansprechenden Band zu seinem 80. Geburtstag gesammelten Aufsätze Scherhorns verbindet die Erkenntnis, dass die Zukunftsfähigkeit der Menschheit von der Ökonomie ein anderes Menschenbild, eine andere Vorstellung von den Bedürfnissen, vom Kaufen und Arbeiten, von den Gemeingütern und vom Wirtschaftswachstum fordert; zudem dass diese Veränderungen die Öffnung der Ökonomie für transdisziplinäre Kooperationen mit anderen Wissenschaften erfordern und dass sie – allesamt schon auf den Weg gebracht – gerade jetzt kräftigen Rückenwind brauchen.

Bohle/futurestrategy weiter: „So wird der Begriff Suffizienz, der ja für eine nachhaltige Entwicklung unabwendbar nötig ist, nicht als ein Hort des Verzichts definiert, sondern im Gegenteil als Gewinn für jeden Einzelnen von uns.“ Scherhorns Erklärung: “Suffizienz ist nach der hier vorgelegten Argumentation das Sichbegnügen mit dem Ausreichenden. Das Ausreichende ist abgeleitet aus dem Vermeiden des Zuviel. Das Zuviel ist schädlich, weil es wichtige andere Bedürfnisse oder Ziele beeinträchtigt.“ Das werde leicht übersehen, weil die Beeinträchtigung sich erst in der Zukunft bzw. in den Commons auswirke.

„Suffizientes Handeln“, so Bohle, „besteht folglich im Vermeiden des künftigen Schadens durch Aktualisierung und Aufwertung künftiger Bedürfnisse. Diese Argumentation hat den Vorteil, den Gewinn der Suffizienz sichtbar zu machen. Er liegt für das Individuum im reiferen Selbst, für den privaten Haushalt im Beitrag des Konsums zu einem erfüllteren Leben, für die Unternehmung in der besseren Zukunftsfähigkeit.“

Folgt: Kurzfristiges Kalkül an langfristiger Perspektive messen