Petra Pinzler über die „heimliche Herrschaft von Konzernen und Kanzleien“
Noch ein Buch über TTIP-TISA-CETA…! Nach Franz Kotteder – Der große Ausverkauf und Thilo Bode – TTIP Die Freihandelslüge nun die ZEIT-Korrespondentin Petra Pinzler mit: „Der Unfreihandel – die heimliche Herrschaft von Konzernen und Kanzleien“ – doch dieses Buch ist mindestens so lesenswert wie die Vorgänger – es erschien, so Misereor in einer Rezension „zu einem optimalen Zeitpunkt“. Denn so die Hoffnung der Kritikerin Eva Wagner: „Kurz vor der Großdemonstration in Berlin wird die Diskussion um die geplanten transatlantischen Handels- und Investitionspartnerschaften wieder Auftrieb erhalten. Der Untertitel‘ Die heimliche Herrschaft von Konzernen und Kanzleien‘ verweist auf die Hauptthese der Autorin, wer die Regeln für die Weltwirtschaft und für die Abkommen TTIP und CETA durchzusetzen versucht.“
PräsIn der Tat neuen Auftrieb – nicht nur durch die etwa 150.000 Menschen, die am 10.10.2015 in Berlin gegen TTIP demonstriert haben: Am 09.11.2015 hat die selbst organisierte (weil ihr der Status von der EU verweigert wurde) europäische Bürgerinitiative dem EU-Parlamentspräsidenten in Berlin fast dreieinhalb Millionen Unterschriften übergeben. Martin Schulz hat sich schon, wie versprochen, an den Petitionsausschuss gewandt. Die EU-Kommission legte gar eine neue Handelsstrategie vor, gelobte mehr Transparenz. Doch gemach. Von einer politischen Kehrtwende kann noch lange keine Rede sein.
Die Grundprobleme von CETA-TTIP-TISA (Intransparenz, geheime Schiedgerichte, Absenken der Standards, unumkehrbare Privatisierungen, Umweltbeschädigung, Ausbeutung, Preis- und Lohndumping) werden hier als bekannt vorausgesetzt und Verschwörungstheorien zur Seite gelegt – Petra Pinzler sieht die Sache realistisch: „Hinter TTIP, CETA, TISA steckt keine konkrete Verschwörung von ein paar großen Konzernen. Natürlich wollen viele Konzernchefs vor allem den Wert, Umsatz und Gewinn ihres Unternehmens steigern. Dazu wurden sie eingestellt. Hinter diesem Phänomen steckt noch mehr. Es liegt nicht allein am großen Geld und ein paar ideologisch verblendeten Politikern, dass die Rechte der Konzerne ausgebaut und die Demokratie dafür eingeschränkt wird. Gegen uns. Möglich wird das alles erst durch die schweigende Zustimmung oder das Unwissen vieler Bürger.“ Was dasselbe ist.
Hauptkritik- und Gefahrenpunkt: Die Schiedsgerichte
Einer der echten Knackpunkte dabei: die sogenannten Schiedgerichte. Die können schon wegen entgangener Gewinnerwartungen (!) unanfechtbare Sprüche gegen Staaten fällen, weil diese sich im Text von vorneherein bedingungslos diesen Urteilen unterwerfen (siehe Vattenfall gegen Bundesrepublik Deutschland). Diese Paralleljustiz soll jetzt endgültig globalisiert werden, und zwar mit Hilfe der Europäischen Union – und der Handelsverträge mit Nordamerika. Möglich wurde all das, weil in den vergangenen Jahren ein internationales Schattenregime entstand. Weitgehend unbeobachtet von der Öffentlichkeit haben Handelspolitiker und Lobbyisten ihr eigenes Regelwerk entwickelt.
Der Jurist Matthew Porterfield von der Georgetown University in Washington hält es für „ein Problem, dass hier eine Branche quasi selbst ihr Recht schreibt. Dass die, die vom Schiedsgerichtswesen leben, auch dessen Rechtsprechung weiterentwickeln. Und dann wieder die Regierungen beraten, wenn es darum geht, neue Verträge zu schreiben.“ Das Ziel: „die Vermögenswerte multinationaler Firmen vor Regulierungen zu schützen“ (so der Juraprofessor Gus van Harten, Toronto).
Die studierte Politik- und Wirtschaftswissenschaftlerin konstatiert, „dass die Reichen durch die Schiedsgerichte etwas geschafft haben, was zuvor keine andere Gruppe vollbracht hat, weder die Menschenrechtler noch die Umweltschützer, weder die Kirchen noch die meisten Unternehmer. Sie haben erreicht, dass sie ihr Geld in anderen Ländern anlegen können und es zu dessen Schutz eine eigene, global wirksame Gerichtsbarkeit gibt“. Unlängst habe ein solches Schiedsverfahren gegen Russland wegen unrechtmäßiger Enteignung von Investoren mit der Rekordsumme von 50 Milliarden Dollar geendet – die wurden den Klägern wegen unrechtmäßiger Enteignung zugesprochen.
Pinzler stellt folgerichtig die Frage, „warum die Bundesregierung und fast alle anderen Regierungen sich auf so etwas eingelassen haben. Warum haben sie die eigenen Gerichte so entmachtet?“Und sie erklärt die historischen Wurzeln der Schiedsgerichtbarkeit, die einmal ganz sinnvoll waren: „Was wie ein raffinierter Schachzug von ein paar genialen Kapitalisten wirkt, entpuppt sich im historischen Rückblick als gar nicht ganz so verrückte Idee. Bevor es Schiedsgerichte gab, haben Enteignungen und Investitionsstreitigkeiten nicht selten zu internationalen Krisen geführt. Tatsächlich beschossen europäische Kriegsschiffe im 19. und 20. Jahrhundert mehrfach afrikanische und lateinamerikanische Häfen, um Geldforderungen von Kaufleuten durchzusetzen.“ Schiedsgerichte halfen, das aus der Welt zu schaffen. Heute allerdings – im Fall CETA – „geht die Definition der Rechte sogar dem Finanzministerium zu weit: Es hat Sorgen, dass Deutschland im Falle eines Staatsbankrotts eines Eurolandes von kanadischen Investoren zum Schadensersatz gezwungen werden könnte“.
Folgt: Und was nun?