Bei Anhörung im BT-Wirtschaftsausschuss konträr beurteilt
Die geplante Kostenhaftung der Atomenergiekonzerne wird von Experten gegensätzlich beurteilt. In einer öffentlichen Anhörung des Bundestags-Wirtschaftausschusses am 23.11.2015 zum Entwurf eines Gesetzes zur Nachhaftung für Rückbau und Entsorgungskosten im Kernenergiebereich (18/6615) nannten die einen den Entwurf als verfassungswidrig, während er den anderen nicht weit genug ging. Energiekonzerne sollen langfristig und umfassend für die Kosten ihrer Betreibergesellschaften für Stilllegung und Rückbau von Kernkraftwerken und die Entsorgung ihner radioaktiven Abfälle haften. Selbst zukünftige, noch unbekannte Zahlungspflichten sollen erfasst werden.
Gert Brandner (Haver & Mailänder Rechtsanwälte) sah die Nachhaftung durch eine „Konservierung der Haftungssituation“ zwar als legitim an. Dennoch gehe der Gesetzentwurf deutlich über den Gesetzeszweck hinaus. „Das Rückbau- und Entsorgungskostennachhaftungsgesetz führt bei wörtlicher Anwendung dazu, dass nicht nur die Energieversorgungskonzerne, deren ,fortdauernde Haftung‘ das Gesetz sicherstellen will, neben dem Betreiber für die Kosten für Stilllegung, Rückbau und Entsorgung aufzukommen haben, sondern auch deren beherrschende Gesellschafter, obwohl diese als Aktionäre nach bisheriger Gesetzeslage für Verbindlichkeiten der AG nicht haften“, erläuterte Brandner. Das Gesetz gehe von der falschen Prämisse aus, dass herrschende Unternehmen auch jetzt schon haften würden. Das treffe aber nicht zu.
Auch Herbert Posser (Freshfields Bruckhaus Deringer) nannte die atomrechtliche Haftung der Muttergesellschaften völlig neu. Der Entwurf führe eine unbegrenzte Gewährleistung und „zeitlich faktisch unbegrenzte“ Haftung für die Muttergesellschaftenein, bedeute daher einen ungerechtfertigten Eingriff in die Eigentumsfreiheit – folglich unvereinbar mit dem Grundgesetz. Ein Novum im deutschen Recht sei die Nachhaftung, „die unabhängig von der Eigenschaft als herrschendes Unternehmen und unabhängig vom Weiterbestehen der Betreibergesellschaft existiert“.
Ähnlich Rechtsanwalt Marc Ruttloff (Gleiss Lutz): für ihn bricht der Gesetzentwurf mit allgemeinen gesellschaftsrechtlichen Grundsätzen, denn die Haftung des herrschenden Unternehmens werde weit über seine Gesellschaftereinlage hinaus erstreckt. Das Nachhaftungskonzept des Gesetzentwurfs sei verfassungsrechtlich nicht zu rechtfertigen. „Es ist mit den Vorgaben des Verhältnismäßigkeitsgrundatzes unvereinbar, es ist weder erforderlich noch angemessen. Ferner widerspricht es den verfassungsrechtlichen Maßstäben des Vertrauensschutzes“.
Für Olaf Däuper (Becker Büttner Held) steht der Entwurf mit der Verfassung im Einklang. Die Nachhaftung sei „strikt subsidiär ausgestaltet, so dass eine Inanspruchnahme der beherrschenden Unternehmen nicht zu befürchten ist, wenn die Betreibergesellschaften ihre Rückstellungen in angemessener Höhe gebildet haben“. Schließlich sei die Nachhaftung zeitlich befristet im Gegensatz zu der von anderen Sachverständigen so bezeichneten „Ewigkeitshaftung“.
Professor Wolfgang Irrek (Hochschule Ruhr West) ging einen Schritt weiter – er lobte den Gesetzentwurf als Stärkung des Verursacherprinzips. Aus ökonomischer Sicht sei er zu befürworten. Allerdings könne der Entwurf nur der erste Baustein auf dem Weg einer substanziellen Erhöhung der Finanzierungssicherheit sein. Die Vermögenswerte der Konzerne sollten in einen Fonds in Form einer öffentlich-rechtlichen Stiftung übertragen und gesichert werden, „um für zukünftig erforderliche Zahlungen für Rückbau und Ewigkeitslasten als liquidierbare Masse zur Verfügung zu stehen“, empfahl Irrek.
Rechtsanwältin Cornelia Ziehm geht der Gesetzentwurf ebenfalls nicht weit genug: Seit Jahrzehnten werde keine Finanzierungsvorsorge für Rückbau und Entsorgung getroffen. Die handelsrechtlichen Rückstellungen seien nicht insolvenzfest. Zwar werde die Begrenzung der Nachhaftung abgeschafft, aber der Entwurf greife nicht bei Insolvenz der Mutterkonzerne, warnte Ziehm. Daher bedürfe es weiterer gesetzlicher Maßnahmen zur Erfüllung der staatlichen Verpflichtungen und zur Umsetzung des Verursacherprinzips im Atomrecht.
Professor Georg Hermes (Goethe-Universität Frankfurt) wies die Behauptungen der Verfassungswidrigkeit ebenfalls zurück. Es gebe keinen verfassungsrechtlichen Vertrauensschutz, sich der Haftung zu entziehen. Es handele sich bei dem Gesetzentwurf um einen zulässigen Eingriff in die Berufsfreiheit zur Herstellung des Verursacherprinzips. (nach: (hib/HLE)
->Quelle: bundestag.de/hib