Die Stromversorgung der Zukunft

ESYS: Akademien veröffentlichen Stellungnahme mit 130 Systemkonstellationen

Wind und Bio in Mecklenburg-Vorpommern – Foto © Gerhard Hofmann, Agentur Zukunft

2050 soll die Stromversorgung in Deutschland überwiegend auf Erneuerbare Energien umgestellt sein. Die Einspeisung aus Windkraft- und PV-Anlagen schwankt je nach Wetter und Tageszeit. Zahlreiche Flexibilitätstechnologien können die Stromversorgung im Zeitalter der Erneuerbaren Energien stabilisieren: von flexiblen Kraftwerken über Speicher bis hin zum Demand-Side-Management, das den Verbrauch mit dem Angebot in Einklang bringt. Fast keine Technologie ist alternativlos, fast jede lässt sich zu überschaubaren Mehrkosten ersetzen. Eine Ausnahme sind flexibel befeuerbare Gaskraftwerke. Sie sind das Rückgrat jedes stabilen Energiesystems der Zukunft. Doch welche Kombinationen verbinden Stabilität mit Nachhaltigkeit, Kosteneffizienz und gesellschaftlicher Akzeptanz? Eine Arbeitsgruppe des Akademienprojekts Energiesysteme der Zukunft (ESYS) von acatech – Deutsche Akademie der Technikwissenschaften, der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina und der Union der deutschen Akademien der Wissenschaften, hat mithilfe eines eigens entwickelten Rechenmodells rund 130 Systemkonstellationen verglichen und die  Stellungnahme „Flexibilitätskonzepte für die Stromversorgung 2050“ am 10.12.2015 veröffentlicht.

Die Berechnungen zeigen: Es gibt zahlreiche Gestaltungsmöglichkeiten mit vergleichbaren Stromerzeugungskosten. Durch den anhaltenden Preisverfall werden Windkraft- und Photovoltaikanlagen künftig die wichtigsten Stromerzeugungstechnologien sein. Zusätzlich führt aber an flexiblen Gaskraftwerken langfristig kaum ein Weg vorbei. „Sie werden künftig zunehmend mit Biogas, Wasserstoff oder synthetischem Methan betrieben“, erläutert Prof. Dirk Uwe Sauer (RWTH Aachen, Co-Leiter der Akademien-Arbeitsgruppe). „Neue Kraftwerke sollten deshalb mit variabler Feuerung ausgelegt werden, damit die Gaswirtschaft sukzessive von Erdgas auf [[CO2]]-ärmere Brennstoffe umgestellt werden kann.“ Damit lassen sich auch bis zu drei Wochen lange wind- und sonnenarme Perioden sicher überbrücken.

Stabile und bezahlbare Stromversorgung auch mit 100 Prozent Erneuerbaren Energien möglich

windSelbst mit 100 Prozent Erneuerbaren Energien ist eine stabile und bezahlbare Stromversorgung möglich. Wind- und Photovoltaikanlagen können beispielsweise durch Biogas-, Solarthermie- oder Geothermie-Kraftwerke ergänzt werden. Diese sind flexibel regelbar und können auch mehrwöchige Windflauten überbrücken. Die jeweiligen Vor- und Nachteile müssen jedoch sorgfältig abgewogen werden:

  • Der Anbau von Energiepflanzen ist eine wichtige Option, zu bedenken sind jedoch Umweltfolgen sowie mögliche Nahrungsmittel- und andere Nutzungskonkurrenzen.
  • Solarthermische Kraftwerke haben einen geringeren ökologischen Fußabdruck, lohnen sich jedoch nur in sonnenreichen Regionen. Für den Stromtransport von Südeuropa oder Nordafrika nach Deutschland müssten die transeuropäischen Netze massiv ausgebaut werden – was wiederum Kosten und Fragen der Akzeptanz bei den Bürgerinnen und Bürgern nach sich zieht.
  • Die Geothermie beeinflusst die Umwelt und Umgebung vergleichsweise wenig, ist für die Stromerzeugung jedoch verhältnismäßig teuer und würde sich eher für die Wärmeversorgung lohnen.
  • Fast ohne zusätzliche Kraftwerke kommt ein System aus, in dem so viele Windkraft- und Photovoltaikanlagen installiert sind, dass sie über das Jahr mehr Strom produzieren als unmittelbar gebraucht wird (Überinstallation). Hier können Langzeitspeicher längere Windflauten überbrücken.

Langzeitspeicher lohnen erst ab CO2-Einsparung von 80 Prozent 

Kurzfristige Schwankungen beim Stromangebot lassen sich am kostengünstigsten mit Demand-Side-Management ausgleichen. Batterien von Elektroautos und in Gebäuden mit Photovoltaikanlagen werden in der Zukunft Standard sein und würden dann aufgeladen, wenn viel Strom zur Verfügung steht. Auch der Betrieb von Haushaltsgeräten kann an das Stromangebot angepasst werden. Langzeitspeicher lohnen erst in einem System mit einer [[CO2]]-Einsparung über 80 Prozent. Bis dahin wäre es kostengünstiger, überschüssigen Wind- und Photovoltaikstrom in den Wärmemarkt zu geben oder nach dessen Sättigung abzuregeln.

Mehr als 100 Expertinnen und Experten aus Wissenschaft und Wirtschaft haben in der Arbeitsgruppe unter Leitung von Peter Elsner (Fraunhofer-Institut für Chemische Technologie) und Dirk Uwe Sauer (RWTH Aachen) mitgewirkt. Sie haben die Technologien bewertet sowie deren Fortschritte und Kosten bis 2050 abgeschätzt. Ein Team um Manfred Fischedick (Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie) hat Energieszenarien mit unterschiedlichem Strombedarf und Anteilen von Wind- und Solarstrom analysiert. All diese Daten bildeten die Basis für die Modellrechnungen.

„Das Energiesystem der Zukunft muss die Schwankungen von Windkraft und Photovoltaik ausgleichen. Flexibilitätstechnologien sind dabei der Schlüssel zu einer nachhaltigen und sicheren Versorgung.“  Peter Elsner, Fraunhofer-Institut für Chemische Technologie, Leiter der Arbeitsgruppe „Flexibilitätskonzepte“

„Künftig könnten etwa Batterien von Elektroautos dann aufgeladen werden, wenn besonders viel Wind- und Photovoltaikstrom vorhanden ist. Über längere Zeiträume ließe sich Strom durch die Umwandlung in Wasserstoff oder synthetisches Erdgas speichern.“  Dirk Uwe Sauer, RWTH Aachen, Leiter der Arbeitsgruppe „Flexibilitätskonzepte“

 

„Für die Gestaltung einer sicheren Stromversorgung gibt es zahlreiche Optionen mit ähnlichen Stromgestehungskosten. Unsere Berechnungen und Analysen zeigen Handlungsmöglichkeiten und deren Konsequenzen auf.“  Manfred Fischedick, Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie, Leiter der Fachgruppe „Energieszenarien“

Einige Ergebnisse in Kürze

  • Fast keine Technologie ist alternativlos, fast jede lässt sich zu überschaubaren Mehrkosten ersetzen – sofern die Weichen rechtzeitig gestellt und Fehlinvestitionen vermieden werden.
  • Brennstoffflexible Gaskraftwerke sind jedoch das stabilisierende Rückgrat jedes Energiesystems, um die Versorgung auch in mehrwöchigen wind- und sonnenarmen Phasen sicherzustellen.
  • Mit einer flexiblen Verbrauchs- und Speichersteuerung in Haushalten und Industrie (Demand-Side-Management) lassen sich kurzfristige Stromschwankungen am kostengünstigsten ausgleichen.
  • Langzeitspeicher lohnen sich erst ab einer CO2-Einsparung über 80 Prozent – bis dahin ist es kostengünstiger, mit überschüssigem Strom zunächst den Wärmesektor zu versorgen und verbleibende Erzeugungsspitzen abzuregeln.

Folgt: Welchen Einfluss haben die CO2-Minderungsziele?