Hubert Weiger, Vorsitzender des Bundes für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND)
Der besondere Fortschritt ist, dass alle 195 Staaten endlich gemeinsam einem Klimaabkommen zugestimmt haben. Darüber verhandelt wird schließlich, seit auf dem Erdgipfel 1992 in Rio de Janeiro eine Klimarahmenkonvention verabschiedet wurde. Damals erkannte die internationale Staatengemeinschaft erstmals die Erderwärmung als ernsthaftes Problem an und nahm sich vor, etwas dagegen zu tun.
Vor Paris galt es noch als illusorisch, dass die Politik den Temperaturanstieg deutlich unter zwei Grad im Vergleich zum Ende des 19. Jahrhunderts halten will. Jetzt will sie sich sogar bemühen, ihn unter 1,5 Grad zu begrenzen. Dieses 1,5-Grad-Ziel ist in der zweiten Woche der Pariser Klimakonferenz von der deutschen Delegation unter Leitung von Bundesumweltministerin Barbara Hendricks in die Verhandlungen eingebracht worden. Ursprünglich war sie mit einem solch ehrgeizigen Ziel nicht nach Paris gereist.
Selbst auf den Ausstellungstafeln im deutschen Pavillon auf dem Konferenzgelände stand lediglich das Zwei-Grad-Ziel. Klar war aber auch, dass sich damit die kleinen Inselstaaten nicht retten lassen. Neben vielen anderen Folgen einer Erderwärmung um zwei Grad würden die Korallenriffe großräumig absterben und die Permafrostböden auftauen.
„Die bisher zugesagten Klimaschutzmaßnahmen werden bei weitem nicht reichen.“
In den letzten Verhandlungstagen wurde zunehmend deutlich: Wer die Akzeptanz aller für ein Klimaschutz-Abkommen sucht, muss auch den Marshall-Inseln und ihren Verbündeten entgegenkommen. Diese hätten einen Vertrag ohne die striktere Temperatur-Grenze wohl nicht unterschrieben. Davon haben die deutschen Verhandler dann auch andere Staaten-Delegationen überzeugen können.
Das ist ein starkes Signal – aber auch nicht mehr. Denn die Klimaschutzmaßnahmen, die von den Staaten bisher zugesagt wurden, werden bei weitem nicht reichen: Rechnet man sie zusammen, erwärmt sich die Erdatmosphäre um 2,7 Grad oder mehr. Jenseits von 2 Grad werden die Folgen jedoch katastrophal. Also müssen die Klimaschutzpläne der Staaten schnell nachgebessert werden, und zwar auch gegen Widerstände. Die bislang vorgesehenen Korrekturmechanismen kommen zu spät.
Nimmt die Staatengemeinschaft die 1,5 Grad ernst, kann sie nicht warten. So müssen Schwellenländer wie China ihre Treibhausgas-Emissionen schon vor 2030 mindern – und nicht erst wie bisher versprochen ab 2030. Weltweit dürfen keine neuen Kohlekraftwerke errichtet und die erneuerbaren Energien müssen entschlossen ausgebaut werden. Weitere Herausforderungen sind die drastische Steigerung der Energieeffizienz und das Einsparen von Energie.
„Statt mehr Güter auf die umweltfreundliche Bahn zu verlagern, lässt Dobrindt Gigaliner testen.“
All dies gilt auch für Deutschland. Beispielsweise wird in Japan die Photovoltaik derzeit fünfmal so stark ausgebaut wie hierzulande. Versäumnisse auf diesem Gebiet sind vor allem SPD-Energieminister Sigmar Gabriel anzulasten. Auch die Verkehrspolitik bewegt sich weiter in falsche Richtungen: Statt mehr Güter auf die umweltfreundliche Bahn zu verlagern, lässt beispielsweise Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt Gigaliner testen.
Auch der Luftverkehr gehört in Deutschland und weltweit zu den am stärksten wachsenden Klimagas-verursachenden Sektoren. Mittelfristig wird sein Anteil an der vom Menschen verursachten Klimaerwärmung weltweit auf etwa ein Fünftel anwachsen. Einfach wird mehr Klimaschutz offensichtlich auch in Deutschland nicht.
Folgt: Jennifer Morgan, Globale Direktorin Klimaschutz, World Resources Institute, Washington DC.