Peter Hennicke über Forschung und Wissenschaft, Szenarioanalysen und demokratische Legitimation der Wissenschaftspolitik der Regierung
Mit freundlicher Genehmigung von Gerd Stadermann und Klaus Oberzig
In einem Interview für ein Buchprojekt von Gerd Stadermann und Klaus Oberzig mit Peter Hennicke, dem langjährigen Präsidenten des Wuppertal-Instituts für Klima, Umwelt und Energie, sprach sich dieser dafür aus, das „Instrument der direkten Kommunikation zwischen Parlament, Wissenschaft und Zivilgesellschaft mehr [zu] nutzen“. Zur allgemeinen Glaubwürdigkeit von wissenschaftlichen Forschungsergebnissen, sagte Hennicke, er glaube „unbesehen heute keiner Szenarioanalyse“ mehr wenn sie „keine konkurrierenden Ansätze und Modellanalysen unter unterschiedlichen Annahmen“ enthalte. Er forderte, „das Auseinanderdriften zwischen Arm und Reich zu stoppen“, im globalen Maßstab müssten „die Armuts- und die Ernährungsfragen gelöst werden“, die eng damit verbunden seien – und der Finanzmarkt müsse „reguliert werden und wieder eine dienende Rolle für die reale Kapitalakkumulation einnehmen“.
Gerd Stadermann: Welchen Stellenwert haben Wissenschaft und Forschung in der Bundesrepublik?
Peter Hennicke: Ich denke, dass Wissenschaft und Forschung in der Bundesrepublik breit akzeptiert sind und als bedeutsame Innovationskraft gesehen werden, aber häufig den zyklischen Schwankungen und kurzfristigen Einflüssen der ökonomischen Entwicklung unterliegen. Zum Beispiel werden grundsätzliche Zukunftsfragen wenig gestellt: Wo wollen wir als Gesellschaft langfristig hin? Wie entwickeln wir Langfristperspektiven in einer kapitalistischen Gesellschaft, die nach ihrer Verwertungslogik von kurzfristigen Überlegungen geprägt ist und im Politikstil stark davon beeinflusst wird?
Forschung kann mit Leitbildern gesellschaftlichen Wandel unterstützen und dafür neue Technologien, soziale und technische Innovationen entwickeln. All das muss als öffentliches Gut mit einem Finanzierungsaufwand verbunden sein, den man sich als Gesellschaft – gerade als relativ reiche Gesellschaft – leisten muss, weil man sonst die Orientierung verliert. Also, das Langfristdenken in der Gesellschaft, in der Politik auch in der Unternehmenspolitik könnte durch eine angemessene Forschung verstärkt werden und daran hapert es noch. An der Transparenz ohnehin. Forschung ist, wenn Sie Menschen auf der Straße fragen, eine terra incognita. Sie werden wenig konkrete Antworten bekommen. Worüber wird in Deutschland geforscht und in wessen Interesse? Macht es in gesellschaftlicher Hinsicht Sinn und ist es verantwortbar, worüber wir forschen? Es gibt zwar einen gewissen Respekt vor der Forschung und vor großen Köpfen, aber was es der Gesellschaft, was es uns Bürgern tatsächlich nützt, darüber wird selten etwas erzählt. Von den möglichen Risiken ganz zu schweigen.
Früher haben wir Netzwerke noch nicht so genannt, aber de facto waren es welche, auf die man sich stützen konnte bei der eigenen wissenschaftlichen Entwicklung und bei einer ziemlich hartnäckigen Entwicklung der Ideen, von denen man überzeugt ist. Einige Kollegen und ich haben ja 1985 gemeinsam das Buch „Die Energiewende ist möglich“1 geschrieben, sind dann aber teilweise unterschiedliche Wege gegangen. Das Buch war die erste politische Ökonomie dessen, was fünf Jahre vorher am Öko-Institut vorgedacht worden war in Form von Szenarien. Beides prägt mein Selbstverständnis von Wissenschaft bis heute, nämlich dass man sich so genau wie möglich verständigen muss über zukünftige Entwicklungen, über mögliche Ziele und dann daraus schließt, was heute geschehen muss, um wirklich in Richtung dieser Ziele zu gehen. Das ist in Bezug auf Energie eine hochpolitische und gleichzeitig eine zutiefst soziale Frage.
Klaus Oberzig: Gilt die Antwort auch für die Erforschung der Erneuerbaren oder ist es da anders?
Hennicke: Noch in den 1980er Jahren hieß es: Erneuerbare sind zwar sinnvoll, aber notwendig und möglich nur als additive Energien. Und additiv hieß, ein Bereich von zwei bis maximal zehn Prozentanteilen am Primärenergieverbrauch. Es war tabuisiert, sich ein Energiesystem vorzustellen, das komplett erneuerbar wäre und dieses innerhalb überschaubarer Fristen zu entwickeln. Und deswegen bedeutete alternative Energieforschung auch immer Kampf, Auseinandersetzung über Ziele, über Interessen, über auch über neue Formen von Infrastrukturen und des Zusammenlebens innerhalb veränderter politischer Rahmenbedingungen. Die Erneuerbaren wurden erst mit dem Erneuerbare-Energien-Gesetz – ab dem Jahr 2000 – auch in der Forschung zunehmend ernster genommen. Nämlich erst als eine staatliche Marktöffnung beim Energieangebot erzwungen wurde, gegenüber den vorhandenen, sehr verkrusteten Monopolstrukturen und marktbeherrschenden Konzernen.
Das gilt übrigens spiegelbildlich, wenn auch noch komplexer, für die Energieeffizienz. Die Vielzahl der Barrieren für den breiten Markteintritt der Energieeffizienz ist ungleich schwerer zu überwinden. Jeder ist natürlich fürs Energiesparen und für Energieeffizienz, aber dass die Eröffnung von Wettbewerb zwischen Energieeffizienz sowie Energiedienstleistungen auf der Nachfrageseite und jeder Form von Energie auf der Angebotsseite einen vergleichbaren, marktstrukturellen neuen energiepolitischen Rahmen erfordert, wie das Erneuerbare-Energien-Gesetz, das ist noch nicht annährend in den Köpfen.
Stadermann: Werden Wissenschaft und Forschung genügend politisch öffentlich diskutiert?
Hennicke: Die Historie der Selbstdarstellungen von Wissenschaft zeigen, dass es sehr lange gedauert hat, bis z.B. Großforschungseinrichtungen überhaupt den Anspruch der Gesellschaft ernst genommen haben, dass sie informieren müssen und zwar allgemeinverständlich. Auch wenn dies gegenüber der Politik – schon aus Eigeninteresse – für die Akquise von Forschungsgeldern immer routinierter gelang, scheint es nach wie vor schwierig zu sein, einen kontinuierlichen Kommunikationsprozess mit der Zivilgesellschaft zu organisieren. Zum Beispiel: Begründungen darzulegen, warum und welche Schwerpunkte die Forschung setzen möchte und welchen Nutzen die Gesellschaft daraus ziehen kann. Bei der staatlich geförderten Industrieforschung hat sich zum Beispiel nur wenig in Richtung auf mehr Transparenz verbessert. Insofern ist die weitverbreitete Bürgermeinung verständlich: Kapitalintensive Großforschung nützt vor allem der Industrie, aber mir als Bürger höchstens dann, wenn Arbeitsplätze daraus entstehen, also im besten Fall indirekt. Mit dem BMBF-Programm FONA2 und ähnlichen neuen Förderschwerpunkten, die aber eine kleine Randexistenz gegenüber den großen Forschungstöpfen führen, hat sich ein bisschen was verändert, aber mehr im Bewusstsein derjenigen, die daraus finanziert werden.
Folgt: Stadermann: Wenn ich die Frage erweitere nach politisch öffentlichen Diskussion in Fernsehen, Rundfunk und Zeitungen – wie sehen Sie es da?