Stadermann: Wenn ich die Frage erweitere nach politisch öffentlichen Diskussion in Fernsehen, Rundfunk und Zeitungen – wie sehen Sie es da?
Hennicke: Ja, Transparenz und Berichterstattungen haben sich verbessert, besonders auch im internationalen Vergleich. Wir haben Wissenschaftssendungen, die früher im Fernsehen überhaupt nicht denkbar waren, wir haben durchaus z.B. im WDR, aber auch Bayernrundfunk oder im Deutschlandfunk Redaktionen, denen es immer wieder gelingt, Forschungsthemen öffentlichkeitswirksam aufzubereiten. Prinzipiell gilt das auch für die deutschen Printmedien. Wir hatten inzwischen Enquete-Kommissionen des deutschen Bundestages, die kommunikative Erfolgsgeschichten waren, wenn sie gut funktionierten. Besonders die 1. Klima-Enquete hatte eine beachtliche Öffentlichkeitswirkung, weil sie zum Beispiel viele öffentliche Hearings veranstaltet hat, die den Wissenstransfer unmittelbar ins Parlament und in die Medien erleichtert haben. Ich war Mitglied in drei Enquete-Kommissionen zum Thema Klima/Energie. Sie waren, wenn auch mit abnehmendem Erfolg, mit prägend für die Meinungsbildung in Sachen Klimaschutz. Ich denke, durch diese besondere Diskurs- und Beratungsform hat sich auch in Bezug auf die Schwerpunktsetzung von Energie- und Klimaforschung einiges verändert.
Deshalb glaube ich, dass wir dieses Instrument der direkten Kommunikation zwischen Parlament, Wissenschaft und Zivilgesellschaft mehr nutzen sollten. Dazu gehört, dass Enquetekommissionen, als beratende und arbeitende, sozusagen wissenschaftliche Infrastrukturen, ein eigenes angemessenes Budget und ein wissenschaftliches Sekretariat brauchen, um sich auch kritisch z.B. mit der Forschungspolitik zu beschäftigen und Alternativen darzustellen, sonst verpufft dieser intensive Beratungsprozess.
Wir hatten z. B. in der ersten Enquete (1989 bis 1991) ein ordentliches Studienprogramm, das auch in vernünftigem Umfang finanziert wurde und dies hatte eine bedeutende Wirkung bei der Setzung von klima- und energiepolitischen Leitzielen und für die weitere deutsche Klimaschutzpolitik.
Oberzig: Die erste oder die Enquetekommission, die praktisch parallel zu dem ersten Buch „Energiewende ist möglich“ lief?
Hennicke: Nein, es gab die erste Energie-Enquete (1979-1983) „Zukünftige Kernenergie-Politik“, in der ich nicht dabei war, die aber bereits bahnbrechend eine Bandbreite möglicher Energiezukünfte bis 2030 entwickelt hat. In dieser Energie-Enquete ist die Pfad-Idee von Amory Lovins3 von 1977 wieder aufgenommen worden. Und diese Enquete-Kommission belegt auch die damalige Hybris von Kernenergieforschung und -politik: Der energiepolitische Pfad 1 prognostizierte zum Beispiel eine Kernenergiekapazität für 2030 von 165 Gigawatt, davon 84 Gigawatt Schnelle Brüter. Das war also ein Versuch, mit einer regelrechten, technologischen Besessenheit für riskante Großtechnik die Energieprobleme lösen zu wollen. Wie sich später herausstellte, war der eigentliche realistische energiewirtschaftliche Verlauf der Pfad 4, basierend auf Energiesparen und Ausstieg aus der Kernenergie, der seinerzeit als abwegig und nicht finanzierbar diskriminiert wurde. Der Vorschlag für den Pfad 4 kam vom Ökoinstitut mit Günter Altner als Repräsentanten. Er war in der Kommission der Anreger und Ideenlieferant. Er bezog sich auf das Buch aus dem Ökoinstitut „Wohlstand und Wachstum ohne Erdöl und Uran“ von Florentin Krause, Hartmut Bossel, Karl-Friedrich Müller-Reißmann (1980).
Oberzig: Und wer war das damals, der so eine Riesenprovokation vorgetragen hat?
Hennicke: Es war vor allem Prof. Häfele aus Karlsruhe. Er war der eloquenteste Befürworter von Schnellen Brütern. Aus heutiger Sicht klingt allerdings grotesk, dass er die Energieeinsparung gemäß dem energiepolitischen Pfad 4 als „extrem“ und als Weg zum „Kalorienstaat“ bezeichnete. Und dann noch hinzufügte: Forciertes Energiesparen sei weit „risikoreicher“ und „experimentiere mit dem Wohlergehen aller“ als Schnelle Brüter in Betrieb zunehmen.
Stadermann: Für wie glaubwürdig halten Sie generell Ergebnisse, Stellungnahmen und Gutachten aus Wissenschaft und Forschung?
Hennicke: Ohne konkurrierende Ansätze und Modellanalysen unter unterschiedlichen Annahmen glaube ich unbesehen heute keiner Szenarioanalyse mehr. Wir haben in der Ersten Enquete-Kommission immer vertreten, dass man unterschiedliche Konsortien und Modellphilosophien braucht. Nötig sind Diskurse und konkurrierende Prozesse, gerade angesichts der vielen Unsicherheiten bei der Analyse zukünftiger Energiesysteme: vielleicht heute nicht mehr so dringend wie damals, als die Dominanz der angebotsorientierten Denk- und Modellierungsweise völlig ungebrochen war.
Heute, auch dank der Erneuerbaren, aber auch dank der energie- und forschungspolitischen Prozesse, haben wir eine große Vielfalt langfristiger Energiekonzepte. Wir haben Leitziele bis zum Jahr 2050, die hoch ambitioniert, aber wissenschaftlich gut begründet sind und vor allem haben wir – zum ersten Mal in der Geschichte der Energiewissenschaften – einen weitgehenden Konsens über die Erreichbarkeit der Langfristziele zwischen unterschiedlichen energiewirtschaftlichen Instituten und Modellansätzen.
Das kannte ich nicht aus meiner wissenschaftlichen Vergangenheit, da war ich bis zur Jahrhundertwende mehr oder weniger der bunte Hund auf einem Expertenpodium. Dort saßen die Kohlevertreter, da saßen die Ölleute oder die Kernenergiebefürworter und – mehr oder weniger gelangweilt – haben sich die Energieangebotsexperten einen energiepolitischen Pfad 4 mit forciertem Energiesparen und Effizienzstrategien mit angehört. Das hat sich komplett verändert. Und einer der Prozesse, um diese einseitige Wahrnehmungsweise zu verändern, waren konkurrierenden Analysen und Szenarien. Das hat die Erste Enquetekommission ziemlich gut hinbekommen. Um wissensbasierte Überzeugungsarbeit zu leisten, haben wir unterschiedliche Institute beauftragt, Gutachten zu den besonders kontroversen Fragen zu erstellen. Ich bin mir ziemlich sicher, dass man diesen Prozess fortsetzen und am besten auch als Forschungstransfer bei der Analyse der Energiewende in andere Länder exportieren sollte.
Folgt: Stadermann: Jedes Institut musste zwei Gutachten erarbeiten?