Stadermann: Jedes Institut musste zwei Gutachten erarbeiten?
Hennicke: Nein, unterschiedliche Institute wurden beauftragt insbesondere zu kontroversen Fragestellungen wie etwa zu den wirtschaftlichen Potentialen Erneuerbarer Energien und der Energieeffizienz. Die Kommission selber hatte, wie gesagt, einen – gegenüber heutigen Bedingungen – relativ üppigen Forschungsfonds für ein Studienprogramm. Die Kommission hat zu bestimmten Fragestellungen, also etwa zu Szenarien, meistens zwei unterschiedliche Konsortien beauftragt, von denen wir wussten, die haben eine unterschiedliche Herangehensweise, auch eine andere Überzeugung oder Philosophie, bzw. Zielvorstellung. Solche Konsortien zusammenzustellen und die erst einmal darüber streiten lassen, was ist auf wissenschaftlicher Basis eine mögliche konsensuale Schnittmenge, wo fangen die Meinungen, die Orientierungen und die politischen Bewertungen an, das ist für eine Enquete-Kommission absolut zentral, weil man sonst leicht in fruchtloses Parteiengezänk reinkommt. Je näher man an einen Wahltermin kommt, desto stärker wird der Hickhack über politische Positionierungen. Aber die Fragen, was ist machbar, was ist technisch belastbar, was ist ökonomisch solide, was ist sozial vertretbar, das muss im Vorfeld zwischen Wissenschaftlern durch konkurrierende Gutachten transparent gemacht werden.
Stadermann: Ist die Wissenschaftspolitik der Bundesregierung demokratisch ausreichend legitimiert?
Hennicke: Ich fürchte das ist nicht der Fall-. Es gibt vermutlich wenige Bereiche, die so stark am Parlament und der Zivilgesellschaft vorbeigehen wie der Wissenschaftsbereich. Das liegt nicht nur an der Komplexität der Themen, sondern auch daran, weil es um große Summen geht, weil gewachsene Infra- und Interessenstrukturen tangiert sind und weil die Begründung für Prioritäten in der Forschung und auch für die Verteilung der Mittel, nicht wirklich im offenen transparenten Prozess diskutiert wird. Das ist keine Grundsatzkritik an der parlamentarischen Demokratie, sondern ein ungelöstes Problem des demokratischen Managements großer Finanzströme. Aber gerade die Forschung verlangt maximale Transparenz, weil sie langfristiger ausgerichtet sein sollte und gerade wegen ihres Finanzvolumens und ihrer Wirkung eigentlich per se der Bevölkerung, dem steuerzahlenden Bürger dienen müsste. Aber gerade diese dienende Rolle ist nicht prioritärer Teil des Selbstverständnisses von Forschung. Da ist es eher umgekehrt: wir, die Forscher, denken voraus und dann stellen wir Akzeptanz her, für das, was wir für euch als notwendig und sinnvoll erkannt haben.
Stadermann: Sie sind in verschiedenen Beratungsgremien gewesen und sind es immer noch, auch um Politik von der wissenschaftlichen Seite her zu legitimieren und umzusetzen. Wie effektiv haben Sie denn generell diese Beratungsgremien und Gespräche empfunden?
Hennicke: In Bezug auf die Energiewende als zu langatmig und oft als zu wenig transparent aber insgesamt doch als überraschend erfolgreich, das muss man heute im Rückblick feststellen. Dass es überhaupt ein Erneuerbare Energien-Gesetz und eine Grundlagenforschung auch für Erneuerbare Energien im heutigen Umfang gibt, ist ein wesentliches Ergebnis, von vielen Instituten, aber auch mutiger Politiker wie z.B. Hermann Scheer und Michael Müller, die in der Beratung im Bundestag sehr aktiv waren. Ich meine, man sollte ab und zu über die Grenzen Deutschlands hinaus vergleichen, um dann festzustellen: Wir sind nicht schlecht bei der Energiepolitikberatung aufgestellt.
Ich beobachte natürlich auch, wie stark und wie viel zu kurzsichtig z.B. die Forschung für Erneuerbare Energien mit der ökonomischen Entwicklung oszilliert. Es ist wichtig, die energietechnische und -wirtschaftliche Forschung von kurzfristigen ökonomischen Schwankungen und Interessen soweit wie möglich zu befreien. Nicht, dass Forschung im luftleeren Raum arbeitet, eine gewisse Industrienähe und gesellschaftliche Relevanz muss auch bei Erneuerbaren Energien und bei Effizienztechniken immer wieder hergestellt werden, damit sie problemlösungsorientiert bleibt. Aber man muss die wissenschaftliche Unabhängigkeit vor kurzfristigen politischen, bzw. ökonomischen Interessen sichern sowie Langfristigkeit und Kontinuität durch Forschungsprogramme gewährleisten. Da haben wir noch ein großes Problem, das wir lösen müssen.
Stadermann: Gibt es in der Bundesrepublik einen ökologischen Wertewandel?
Hennicke: Ich denke schon. Es gibt ja immer mal wieder Stimmen, die einander förmlich überbieten mit Resignation und die sagen, wir kriegen die Probleme nicht mehr in den Griff, die Zwei-Grad-Klimaschutzgrenze sei doch z. B. ferner denn je. Skepsis zu verbreiten ohne Alternativen zu entwickeln löst aber kein Problem. Das Beste ist dann immer, mit Kollegen dieser skeptischen Denkweise zu reflektieren, wie das vor 20 oder 30 Jahren war, wie es heute mit dem Bewusstsein bei jüngeren Leuten aussieht, zum Beispiel ein eigenes Auto haben zu wollen, was offensichtlich abnimmt, sehr zur Beunruhigung der Automobilindustrie. Oder mit Fragen gesunder Ernährung, der Verantwortlichkeit nachhaltigere Kleidung zu tragen oder sich doch zumindest Gedanken zu machen, unter welchen Arbeitsbedingungen sie hergestellt wird. Da findet durchaus ein erheblicher Wertewandel in Teilen der Bevölkerung statt. Dies reicht noch nicht aus, eine generelle Suffizienzpolitik auch tatsächlich umzusetzen.
Man kann aber diesen Trend zu mehr Verantwortung durch den eigenen nachhaltigeren Konsum und in der eigenen Lebensführung verstärken, im eigenen Freizeitverhalten zum Beispiel durch sanfteren Tourismus. Diese Verantwortlichkeit betrifft nicht nur die Ökologie, sondern generell den Aspekt, sich der Tragweite der eigenen Handlung in Bezug auf komplexere, größere Probleme bewusst zu werden. Ja, da hat sich bei einem Teil der Bevölkerung deutlich etwas verändert. Aber es gibt zu viele kontraproduktive Anreize, immer wieder in die andere Richtung zu gehen und sich dann doch diesem ungeheuren Warenhaufen wachsenden materiellen Konsums auszuliefern. Offensichtlich bedarf es der politischen Rahmensetzung, der permanenten Ermutigung und der realen Ermöglichung, damit die guten Absichten von Minderheiten zur Handlungsbereitschaft von Mehrheiten werden.