Dritte Phase: die Wiedervereinigung als unmittelbare industriepolitische Herausforderung
1989 setzte mit der Überwindung der Teilung Deutschlands eine neue Phase ein – mit dramatischen Konsequenzen insbesondere für Ostdeutschland. Es drohte eine flächendeckende De-Industrialisierung in den neuen Bundesländern, die zu Befürchtungen, dass in Europa ein neues „Mezzogiorno“ entstehen würde, führte. Die Perspektiven für die ostdeutsche Industrie waren äußerst düster. Über ihre Ursachen ist viel gestritten worden. Der marode Zustand vieler Betriebe auf dem Gebiet der ehemaligen DDR war zweifelsohne ein Faktor, aber keineswegs der einzige.
Die Währungsunion führte zu einer massiven Verteuerung der industriellen Produkte, die damit – quasi über Nacht – nicht mehr konkurrenzfähig waren. Der westdeutsche Kapitalismus vertrat durchaus die Haltung, mit den im Westen vorhandenen Kapazitäten die Märkte in den neuen Bundesländern und darüber hinaus in Osteuropa zu bedienen. Entsprechend agierte die Treuhand keineswegs immer im Interesse des Erhalts wesentlicher Teile der ostdeutschen Industrie.
Dass dennoch Ostdeutschland nicht das Schicksal Süditaliens erlitt, ist auch den Gewerkschaften und im Wesentlichen der IG Metall zu verdanken. Ihr Konzept lautete „Industrielle Kerne retten“, wodurch die Basis für eine Re-Industrialisierung gelegt werden sollte. Hierfür mussten sehr schnell und sehr konkret industriepolitische Konzepte für Branchen und Betriebe gewissermaßen aus dem Boden gestampft werden und mit politischem Druck von „unten“ umgesetzt werden. Der Handlungsdruck war immens, und die Erfolgsbilanz ist gemischt…
Vierte Phase: Kurswechsel erforderlich
Zu Beginn des neuen Jahrhunderts hätte wohl keiner vorausgesehen, in welch dramatischer Weise sich die ökologischen, ökonomischen und sozialen Probleme zuspitzen würden. Sichtbares Zeichen hierfür war die tiefgreifende Wirtschafts- und Finanzkrise 2008/09, von der sich viele Staaten Europas bis heute nicht erholt haben. Spätestens seit dieser neuen Weltwirtschaftskrise ist nicht mehr zu leugnen, dass die grundlegenden wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Probleme neue Antworten erfordern. Die IG Metall hat einen grundlegenden Kurswechsel eingefordert. Unsere Ziele sind qualitatives Wachstum und ein nachhaltiger Umbau der industriellen Produktion, damit es gelingt, die Chancen für ein „Gutes Leben“ auch künftigen Generationen zu ermöglichen Die IG Metall setzte sich erfolgreich für adäquate Maßnahmen zur Stabilisierung der industriellen Produktion ein – wie zum Beispiel die Sicherung der Stammbelegschaften durch Kurzarbeit und die Stabilisierung des Absatzes von PKW durch die Abwrackprämie. Maßnahmen, die mit dafür verantwortlich waren, den drohenden Abbau von Arbeitsplätzen und damit Arbeitslosigkeit für viele Beschäftigte zu verhindern. Das zeigt sich aber auch bei anderen gesellschaftspolitischen Großprojekten wie zum Beispiel der Nationalen Plattform Elektromobilität (NPE) und – ganz aktuell – der Energiewende.
Die IG Metall war seit 2009 wesentlicher Promotor beim Aufbau der Nationalen Plattform Elektromobilität. Mit einem abgestimmten Konzept von Maßnahmen in ganz unterschiedlichen Feldern wie Forschung und Entwicklung, akademische und berufliche Bildung, Normung und Standardisierung sowie zur Unterstützung des Markthochlaufs soll erreicht werden, dass Deutschland zu einem Leitanbieter und Leitmarkt für Elektromobilität wird. Erstmals wurde ein Fahrplan für eine koordinierte Industriepolitik bei einer Zukunftstechnologie mit verbindlichen Investitionszusagen in Forschung und Produktion festgelegt. Hierdurch soll erreicht werden, dass der Übergang vom Verbrennungsmotor zur Elektromobilität gemeistert wird und die Wertschöpfungsketten einer Kernkompetenz der deutschen Wirtschaft nachhaltig umgestaltet und auf diese Weise Arbeitsplätze gesichert werden bzw. neu entstehen. Auch wenn der Elektromobilität in Deutschland heute noch nicht der Durchbruch gelungen ist, geht kein Weg an einer koordinierten industriepolitischen Steuerung vorbei.
Folgt: Energiewende