„Gute Industriepolitik“ braucht Partner in Politik und Gesellschaft
Die Re-Industrialisierung Ostdeutschlands, die Nationale Plattform Elektromobilität sowie die Energiewende sind drei herausragende Beispiele, in welcher Weise die IG Metall industriepolitische Ansätze mit geprägt hat und weiter mitgestaltet. Dies gilt natürlich auch für viele andere Bereiche der Industrie – sei es der Schiffbau, die Stahlindustrie oder der Maschinenbau.
Dabei musste die IG Metall mit ihren industriepolitischen Vorstellungen für eine zukunftsorientierte Industriepolitik gegen Widerstände bei den Vertretern der reinen Lehre der Marktwirtschaft in der jeweiligen Bundesregierung, insbesondere im Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi), ankämpfen. Es fehlte somit auf der politischen Seite der Partner, mit dem man gemeinsam Kernfragen einer nachhaltigen Industriepolitik angehen konnte. Damit sollen keineswegs Interessenunterschiede verwischt werden. Vielmehr geht es um eine prinzipielle Dialogbereitschaft und die Suche nach Schnittmengen für ein gemeinsames industriepolitisches Vorgehen.
Mit der Bildung der neuen Bundesregierung im Jahr 2013 änderte sich jedoch die Situation. Anders als ihre Vorgängerinnen hat die große Koalition den Wert der Industrie für die wirtschaftliche Entwicklung Deutschlands erkannt und bekennt sich zu einer aktiven Industriepolitik, die über das Setzen von Rahmenbedingungen deutlich hinausgeht. Insofern ist Bewegung in die bundesdeutsche Industriepolitik gekommen. Im Rahmen der verschiedenen Initiativen (Bündnis „Zukunft der Industrie“, Plattform „Industrie 4.0“, Plattform „Innovative Digitalisierung der Wirtschaft“, Expertenkommission „Stärkung von Investitionen in Deutschland“ und diverse Branchendialoge) wurde ein umfassender Dialogprozess auf den Weg gebracht, an dem die Gewerkschaften beteiligt sind.
Eine gewisse Skepsis lässt sich angesichts der ersten konkreten Ergebnisse nicht verhehlen: In dem Bericht der Expertenkommission „Stärkung von Investitionen in Deutschland“ im Auftrag des Bundesministers für Wirtschaft und Energie, Sigmar Gabriel, wurden die alten Fronten unverändert deutlich. Der Befund ist unstrittig: Es gibt in Deutschland ein Defizit an öffentlichen und privaten Investitionen. Insbesondere die öffentliche Infrastruktur ist mittlerweile aufgrund der Sparpolitik und des „Evangeliums“ einer schwarzen Null teilweise in einem maroden Zustand. Streit entzündete sich vielmehr an den Vorschlägen zur Behebung der Investitionsdefizite.
Die von der Kommissionsmehrheit vorgeschlagene Finanzierung von öffentlichen Investitionen durch private institutionelle Anleger wurde von den Gewerkschaftsvertretern in der Expertenkommission entschieden abgelehnt. Stattdessen sollen sie durch den Abbau von Steuerprivilegien für sehr hohe Vermögen, Einkommen und Erbschaften, die konsequente Ausnutzung des gegebenen Verschuldungsspielraumes und durch höhere Schulden im Sinne der Goldenen Regel der Finanzwissenschaft finanziert werden. Zugleich wurden die steuerpolitischen Vorschläge der Kommissionsmehrheit zur Förderung von privaten Investitionen abgelehnt, weil sie „insgesamt dazu führen würden, die ohnehin ungleiche steuerliche Belastung von Arbeit und Kapital zulasten des Faktors Arbeit, aber auch zulasten der öffentlichen Hand, zu verschieben.
Einmal mehr wurde deutlich, dass Investitionspolitik als Teil der Industriepolitik kein interessenfreier Raum ist und politische Machtfragen in Dialogprozessen eine große Rolle spielen. Insofern kann es nur von Vorteil sein, wenn die Gewerkschaften verstärkt die Kooperation mit anderen Organisationen in der Zivilgesellschaft (NGOs) suchen. Die Chancen für eine solche Zusammenarbeit haben sich verbessert. Der Wert der Industrie für eine nachhaltige Umgestaltung unserer Wirtschaft wird mittlerweile von vielen NGOs gesehen und anerkannt. Schnittmengen für ein gemeinsames Vorgehen beim ökologischen Umbau der Industriegesellschaft sind vorhanden.
Folgt: Eckpunkte einer „Guten Industriepolitik