Eckpunkte einer „Guten Industriepolitik
Angesichts der oben dargestellten „Megatrends“ sowie positiver und negativer Erfahrungen mit bisherigen industriepolitischen Ansätzen und Initiativen ergeben sich neue Anforderungen an eine Industriepolitik der Zukunft. Diese wird die IG Metall aktiv im Interesse ihrer Mitglieder mitgestalten. Eine Industriepolitik der Zukunft muss „Gute Industriepolitik“ sein. Die IG Metall kann hierbei – dieses sollte der historische Rückblick zeigen – auf ihren industriepolitischen Aktivitäten in der Vergangenheit aufbauen. Anders als die „Marktideologen“ in Wissenschaft und Politik war sie sich immer der Defizite und negativen Folgen einer ungesteuerten und ungezügelten Marktwirtschaft bewusst und mit ihren industriepolitischen Vorschlägen auf der Höhe der Zeit und ihrer Probleme.
Unter den heutigen Bedingungen bekommt nun die Forderung nach einer integrierten Industriepolitik neues Gewicht. Sie erfordert einen Masterplan oder eine „Roadmap“, die gemeinsam von allen Beteiligten zu entwickeln und mit anderen Politiken wie der Innovationspolitik, der Energiepolitik, der Regionalpolitik oder der Arbeits- und Bildungspolitik zu verbinden ist. Hierbei ist im Sinne der Gleichgewichtigkeit von ökologischer, ökonomischer und sozialer Nachhaltigkeit von folgenden Eckpunkten auszugehen.
- Der notwendige ökologische Umbau der Industriegesellschaft erfordert mehr als eine Energiewende. Es geht um grundlegende Veränderungen in der Produktionsweise, die zugleich zu neuen Strukturen in den Wertschöpfungsketten führen werden. Die Realisierung einer durchaus machbaren Effizienzrevolution, „Besser statt billiger“ durch „Cradle to Cradle“, von neuen Mobilitätskonzepten, von Produkten im Sinne eines nachhaltigen Konsums oder auch Fair Trade sind Marksteine für einen solchen Umbau.
- Der ökologische Umbau bietet der deutschen Industrie neue Chancen im globalen Wettbewerb. Hierbei kann sie auf ihren Erfolgen aufbauen. Diese beruhen auf qualitativ hochwertigen Produkten, Systemlösungen und starken industriellen Clustern. „Low Road“ hat in der Konkurrenz mit den aufstrebenden Schwellenländern keine Chance. Damit ist keineswegs nur eine Hightech- Förderung durch die FuE-Politik gemeint. Gerade nicht FuE-intensive Industrien sowie Lowtech- Industrien sind unverzichtbare Bestandteile der Wertschöpfungsketten und damit in die Förderung einzubeziehen. Andererseits hat es die deutsche Industrie in der Vergangenheit versäumt, sich den Zugang zu Schlüsseltechnologien wie dem IT-Bereich oder der Batterietechnik zu verschaffen. Solche technologischen Lücken sind von einer nachhaltigen Industriepolitik gezielt anzugehen.
- „Gute Industriepolitik“ muss auf Dauer angelegt sein und steht damit in direktem Widerspruch zu einem finanzmarktgesteuerten Shareholder-Kapitalismus. Dieser hat direkt in nahezu allen kapitalistischen Ländern zu einer immens wachsenden Ungleichverteilung zwischen Einkommen und Vermögen geführt. Diese Entwicklung widerspricht nicht nur allen Wertvorstellungen von Gerechtigkeit, sondern verstärkt auch die Krisenanfälligkeit durch negative Auswirkungen auf die Nachfrage. Notwendig sind deshalb die nationale und internationale Regulierung der Finanzmärkte, eine stärkere Besteuerung von Einkommen, Vermögen und Erbschaften der „Superreichen“ und die Ausweitung der wirtschaftlichen Mitbestimmung
- „Gute Industriepolitik“ im Sinne der sozialen Nachhaltigkeit integriert Strategien für Gute Arbeit, fördert Arbeitsplätze mit guten Arbeitsbedingungen und Qualifikationen sowie einer entsprechenden Bezahlung und bekämpft prekäre Beschäftigung. Arbeit als Quelle der Identität gehört zu einem guten selbstbestimmten Leben und muss deshalb wieder ihren Wert bekommen. Die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohnes ist nur ein erster Schritt zu einer nachhaltigen Verbesserung der Lebens- und Arbeitssituation des Prekariats. Die erfolgreiche Kampagne „Besser statt Billiger“ der IG Metall hat gezeigt, dass das Expertenwissen der Beschäftigten bei betrieblichen Veränderungen und Neuerungen unverzichtbar ist. Solche Beteiligungsprozesse sollten durch staatliche Programme und Mittel gefördert werden. Hierdurch könnten zugleich Spielräume für Aktivitäten und Initiativen der Beschäftigten für Innovationen und betriebliche Umstrukturierungen erweitert werden.
- Die Mitbestimmung ist der Pluspunkt im deutschen System und hat sich in der Wirtschafts- und Finanzkrise bewährt. Eine Kooperation für eine Stärkung der Industrie und der industriellen Beziehungen ist nicht nur in den Betrieben, sondern auch in Branchen bzw. in Clustern und darüber hinaus erforderlich. Wie oben dargestellt, hat die IG Metall eine solche Politik immer verfolgt. Zwar ist in dem neuen Anlauf der Bundesregierung zur Industriepolitik eine Beteiligung der Gewerkschaften endlich in die Tat umgesetzt worden, aber dies kann sich unter einer anderen Bundesregierung auch wieder ändern. Neben der Ausweitung der Mitbestimmung in wirtschaftlichen Angelegenheiten auf der Ebene des Betriebes bzw. des Unternehmens sind deshalb dauerhaft fest institutionalisierte Einrichtungen bzw. industriepolitische Gremien auf Bundes- und Bundesländerebene unter Beteiligung der Gewerkschaften notwendig.
- Die Krise hat es gezeigt: Europa ist zu einem einheitlichen Wirtschaftsraum zusammengewachsen. Eine gesamteuropäische nachhaltige Industriepolitik ist mehr denn je im Sinne einer gegenseitigen Unterstützung erforderlich. „Gute Industriepolitik“ impliziert damit eine Renaissance der Industrie in vielen europäischen Ländern. Die europäischen Institutionen sind in der Pflicht, den Prozess einer nachhaltigen Erneuerung der Industrie in Europa auf den Weg zu bringen. Ohne eine intensivierte Zusammenarbeit der europäischen Nationen und ohne die finanzielle Unterstützung von »schwächeren« Nationen wird dieses Ziel nicht zu erreichen sein.
Zu allen genannten Eckpunkten hat die IG Metall in den letzten Jahren Konzepte entwickelt. Sie zeigen: „Gute Industriepolitik“ ist machbar! Zu ihrerRealisierung ist sie jedoch auf starke Partner in der Politik, in der Zivilgesellschaft und nicht zuletzt in den Betrieben angewiesen. Angesichts der oben skizzierten, teils dramatischen Entwicklungen ist jedoch in jedem Fall auf dem Primat der Politik in einer demokratischen Gesellschaft zu bestehen. Ohne dieses Primat werden die kommenden Anforderungen nicht zu meistern sein. Die IG Metall wird hierzu ihren produktiven Beitrag leisten!
Wolfgang Lemb (Hg.): Welche Industrie wollen wir? Nachhaltig produzieren – zukunftsorientiert wachsen – 288 Seiten 17 Abbildungen und Tabellen – EAN 9783593504735 – € 19.90
Fotos: Gerhard Hofmann, Agentur Zukunft