Gleichzeitig erleben wir einen Preisverfall bei den Batterien. Dabei gibt es eine Analogie in der jüngsten Technikgeschichte: Im Jahr 2009 glaubte kaum jemand, dass ein Solarmodul sechs Jahre später nur noch ein Sechstel kosten würde. Das ist das Ergebnis einer andauernden Lernkurve gemäß der Formel: jede Verdopplung der Produktion von PV-Modulen führt zu einer Kostenreduktion von 20 Prozent. Absehbar kann Solarstrom selbst in unseren Breitengraden für weniger als 5 Cent je Kilowattstunde erzeugt werden. Nun erleben wir eine ähnliche Lernkurve bei den Batterien. In den letzten vier Jahren sind die Preise von Lithium-Ionen-Batterien drastisch gesunken – von 500 Euro je Kilowattstunde auf die Hälfte. Ein weiterer drastischer Preisverfall ist zu erwarten, sobald die Produktion in der neuen Batteriefabrik von Tesla und Panasonic in der Wüste Nevadas losgeht, geplant ist das für Mitte 2017. Eine weitere Halbierung auf dann 125 €/KWh scheint möglich. Das Batteriepaket des BMW I 3 wäre für unter 3.000 Euro zu haben – mit vorhandener Technik. Dabei läuft die Batterieforschung derzeit auf Hochtouren und möglicherweise liegt eine Technik auf der Basis noch günstigerer Materialien schon im Skat.
Doppelt disruptiv und im Sinne einer post-fossilen Zukunft hochinteressant ist das, was von einem anderen kalifornischen Entrepreneur mit Verve angegangen wird: Der Aufbau der „Tesla-Welt“. Auch bei Tesla ist man nicht auf das Autoverkaufen aus. Die bisherigen Absätze des Oberklassenfahrzeugs Modell S sind eher eine Fingerübung und trotz der Aufmerksamkeit weckenden Investitionen in ein Supercharging-Netz handelt es sich um ein Nebengleis der Unternehmens-Strategie. Tesla arbeitet an einem Energie-Gesamtangebot, in dem das Auto nur ein Element ist. Die Vision ist eine Energielösung auf Basis Erneuerbarer Energien, in erster Linie der Solarenergie, für die Tesla alle wichtigen Bestandteile anbietet: die PV-Anlage nebst stationärem Speicher und das Auto, das nicht nur als Verkehrsmittel genutzt wird, sondern auch als zusätzlicher – mobiler – Speicher fungiert. Die Autobatterie wird zum stationären Speicher, wenn ihre Leistungsfähigkeit unter eine kritische Schwelle fällt. Nach ihrem mobilen Leben wird diese Batterie ganz oder in einzelnen Modulen als Heimbatterie für den Eigenverbrauch von PV-Strom eingesetzt. Der life-cycle einer sowieso schon günstigen Batterie wird sich erheblich verlängern, denn als stationärer Speicher ist sie selbst dann noch nützlich, wenn die unvermeidliche Degradation von 1 bis 1,5 Prozent pro Jahr die Leistungsfähigkeit beeinträchtigt. Die Finanzierung und die integrierenden Steuerungstools – die alles integrierende Plattform – kommen schließlich ebenfalls aus dem Hause Tesla. Die Kunden können schließlich wählen, ob sie ein solches Gesamtangebot kaufen oder mieten.
Ist das nicht Zukunftsmusik, weit weg vom politischen Alltag der Großen Koalition, deren sozialdemokratischer Teil in ihrem ganz frischen „Modernisierungspakt für Deutschland 2025“ zu einer „digitalen Infrastrukturpolitik“ aufruft und für den „Hochlauf für die Elektromobilität“ eine Kaufprämie für E-Autos fordert?
Dem Papier liegt das überkommene Wachstumsmodell zugrunde und die Potenziale der Digitalisierung zur dezentralen Vernetzung werden nicht gesehen. Das zeigt sich in der Betonung des Infrastrukturausbaus. Beim Glasfasernetz ist das noch verständlich, das gibt es ja erst in einigen Ballungsräumen und eine Neuverlegung von schnellen Leitungen ist vielerorts nötig. Aber bei den Straßen und auch bei den Stromtrassen ist das nicht der Fall. Es gibt wahrlich genug Straßen, örtliche und überörtliche. Sie sind teilweise in schlechtem Zustand und völlig unzureichend bewirtschaftet. Neue Straßen, die übrigens in absehbaren Zeiträumen auch immer wieder saniert werden müssen, sind Fehlinvestitionen. In einigen Regionen ist vielmehr ein Rückbau absehbar. Zwar wächst der Güterverkehr nach wie vor, vor allem auf der Straße. Aber im Personenverkehr haben wir längst den Peak erreicht. Ebenso ist der Netzausbauplan bei den Stromtrassen vollkommen überdimensioniert. Wir laufen auf eine dramatische Dezentralisierung der Stromsystems zu, da sind Speicher und leistungsfähige Verteilnetze gefragt, aber kein groß dimensioniertes Fernleitungsnetz. Hier wirkt offenbar immer noch die alte Logik der Großkraftwerke nach.
Neben der klassischen Infrastrukturfixierung nach dem Motto „viel hilft viel“ wird eine weitere Last aus früheren Zeiten mitgeschleppt, nämlich die Mär von den hohen Kosten der Erneuerbaren Energien. Sie liegt auch der rhetorischen Floskel von einer „Kostenbegrenzung durch mehr Wettbewerb“ zugrunde. Hartnäckig hält sich diese „These“, obwohl sie empirisch nicht haltbar ist. Für industrielle Großabnehmer sind die Stromkosten in den letzten Jahren bereits gesunken. Das eigentliche Problem bei den Stromkosten ist der „Überförderungsrucksack“ in der EEG-Umlage, der in den PV-Boomjahren 2010 bis 2012 entstanden ist und der in den nächsten eineinhalb Jahrzehnten nicht abgelegt werden kann. Durch neue PV- und Onshore-Wind-Anlagen ist in den vergangenen Jahren die EEG-Umlage nur geringfügig gestiegen. Ihre Höhe von mehr als 6 ct/kWh liegt eben an den besagten Altlasten, am Verfall des Börsenpreises und an der üppigen Förderung von Offshore-Wind. So werden auch die Möglichkeiten der „Sektorkopplung“ von Strom und Mobilität kaum gesehen. Sinkende Erzeugungskosten, drastisch günstigere Speicher und die vielfältigen Effekte der Digitalisierung können ein Momentum erhalten, das alle alten Infrastrukturplanungen obsolet werden lässt und die überreife mobile Kraftwärmemaschine ganz schnell in den Oldtimer-Markt verbannt. Möglicherweise wird dieses Momentum aber nicht hier entstehen, weil ihm einfach die Abhängigkeit vom jahrzehntealten Erfolgsmodell dagegensteht.
Die Pfadabhängigkeit ist Verkehr wohl noch höher als im Stromsektor? Gibt es überhaupt Hebel zur Veränderung, wenigstens schwache Zeichen für einen Pfadwechsel?
In den letzten Jahren hat sich im Verkehr einiges verändert, was auf den ersten Blick nicht direkt mit dem Verkehr zu tun hat. Man kann diese Veränderung als „Digitalisierung im Kleinen“ bezeichnen. Die hohe Verbreitung von Smartphones und das Phänomen des Permanent-Online-Seins hat zu neuen Verhaltensweisen geführt, auch im Verkehr. Der Zugang zu Verkehrsoptionen ist so einfach geworden wie nie, zwei oder drei Clicks reichen. Ob Busse, Bahnen oder Fahrräder oder auch Carsharing-Autos: alles kann über das Smartphone geortet, gebucht und auch wieder „abgegeben“ werden. Was wir sehen, ist der Bedeutungsverlust des einzelnen Gerätes, die Nutzungschancen sind wichtiger als die PS-Zahl, die Farbe oder das Markenimage*. Insgesamt bin ich vorsichtig optimistisch, dass sich selbst im Verkehr etwas tut, denn die Digitalisierung bedeutet mehr als lediglich WLAN im Auto. Gerade die Jungen, die ihren Alltag mit dem Smartphone organisieren, vermissen das eigene Auto schon heute nicht mehr, nachdem sie online viele bequeme und günstige Alternativen haben.
Weert Canzler ist Sozialwissenschaftler und Mobilitätsforscher am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung. Zu seinen Forschungsthemen zählen die Kontinuität und der Wandel technischer Leitbilder in modernen Gesellschaften. Seine zentralen Untersuchungen behandeln die technikhistorische und techniksoziologische Bedeutung des Automobils. Im Mittelpunkt steht das Verhältnis des Privat-Pkw zum Umweltverbund unter besonderer Berücksichtigung alternativer Nutzungsformen wie Fahrradverleih oder Carsharin., vor allem aber die Elektromobilität. 2015 wurde er mit einer Arbeit unter dem Titel Automobil und moderne Gesellschaft: Beiträge zur sozialwissenschaftlichen Mobilitätsforschung habiliert.
*) Das ist der Gegenstand des im Februar 2016 erscheinenden Buches von Weert Canzler und Andreas Knie: Die digitale Mobilitätsrevolution. Vom Ende des Verkehrs, wie wir ihn kannten; München – oekom Verlag.