enervis bewertet Energieunion positiv

Executive Summary

„Vor dem Hintergrund der Ukraine-Krise wurde vom ehemaligen polnischen Ministerpräsidenten Donald Tusk eine Initiative gefordert, die die Position der europäischen Union gegenüber Russland stärkt. Inzwischen hat die Europäische Kommission diese „Energieunion“ zu einem strategischen Schwerpunkt ihrer Arbeit gemacht. Die Energieunion hat sich dabei zu einem breiten Strategiepaket entwickelt, das Absichtserklärungen, konkrete Ziele bis hin zu Maßnahmen in allen Bereichen der europäischen Klima- und Energiepolitik, insbesondere auch zu strommarktbezogenen Themen, bündelt. Die Energieunion umfasst zwar in vielen Abschnitten bereits Bekanntes, dennoch setzt die Energieunion wichtige Akzente durch Initiativen auf nachgelagerter Ebene oder durch neue Impulse zu bereits bekannten Zielen. Der Wert dieser Initiativen wird sich im weiteren Verlauf der Umsetzung zeigen.

Vor diesem Hintergrund wird in der hier vorliegenden Studie eine Bewertung der einzelnen Strategieelemente der Energieunion aus Verbraucherperspektive vorgenommen, um daraus eine Gesamtbewertung aus Verbrauchersicht abzuleiten.

Dabei werden die häufig politisch geprägten Einschätzungen zur Energieunion mit einer energiewirtschaftlichen Perspektive ergänzt. Ein weiterer Schwerpunkt liegt auf den bisher weniger im Fokus der Diskussion stehenden, gerade aber aus Verbraucherperspektive besonders relevanten Strategieelementen der Energieunion mit Strommarktbezug. Hervorzuheben sind dabei die folgenden Punkte.

Die Verbraucher_innen werden von weiterem Netzausbau absehbar profitieren, wenngleich dies nicht zwangsläufig für alle Länder gilt, sondern für die europäischen Verbraucher_ innen insgesamt. Vor diesem Hintergrund sind die, zumindest für 2030, ambitionierten Netzausbauziele der Energieunion zu begrüßen. Die Erfahrung hat jedoch gezeigt, dass Netzausbau weniger an ambitionierten Ankündigungen scheitert als an prozessualen Hemmnissen und mangelnder Akzeptanz.

An dieser Stelle ist auch die deutsche Politik gefragt.

Wie die Diskussion des letzten Jahres in Bezug auf den innerdeutschen Netzausbau zeigt, kann hier durchaus mangelnde politische Unterstützung konstatiert werden, die sich auch auf grenzüberschreitende Projekte niederschlagen kann.

Unabhängig von der Fragestellung, ob Kapazitätsmechanismen in einzelnen Mitgliedstaaten sinnvoll sind, sollten diese Mechanismen, wenn sie eingeführt werden, unbedingt koordiniert werden. Hierzu ist die im Rahmen der Energieunion angestrebte Vereinheitlichung der Methodik zur Beurteilung von Versorgungssicherheit eine wichtige Grundlage und daher aus Verbrauchersicht zu begrüßen. Die deutsche Politik ist dabei, z. B. im pentalateralen Forum, durchaus als eine treibende Kraft zu erkennen und sollte ihre Bemühungen fortsetzen.

Die Umsetzung der bestehenden EU-Vorgaben für EE-Fördermechanismen (insbesondere Ausschreibung und Stärkung der Marktintegration der EE) kann den Wettbewerb und die Kosteneffizienz fördern und ist aus Verbrauchersicht grundsätzlich zu begrüßen. Regionale Kooperationen zwischen Mitgliedstaaten (z. B. anteilige Öffnung der Ausschreibungen für Beteiligungen aus den Nachbarländern) stellen dabei einen sinnvollen Schritt vor den weitergehenden Kooperationsansätzen dar (Quotenmodelle), deren Vorteile noch nicht eindeutig nachgewiesen sind. Durch regionale Kooperationen werden Effizienzpotenziale gehoben und die Verbraucher_ innen entlastet, ohne zwangsläufig die nationalen Ausgestaltungen einzuschränken. Diese Form der Kooperation sollte aus Verbrauchersicht gefördert werden. Deutschland hat sich einer Umsetzung der EU-Vorgaben angeschlossen, vorgesehen sind perspektivisch auch Ansätze zu einer anteiligen Öffnung für ausländische Projekte. So lange dies auf dem Prinzip der Gegenseitigkeit basiert, ist dies seitens der Verbraucher_innen zu unterstützen.

Eine stärkere europäische Integration der Großhandelsmarktregeln (insbesondere Market-Coupling) erlaubt einen effizienteren Einsatz von Erneuerbaren, Kraftwerken und Speichern. Dies schlägt sich nieder in insgesamt niedrigeren Großhandelsstrompreisen bzw. Regelenergiekosten, wovon mittelbar die Verbraucher_innen profitieren können. Gegenläufige Positionen sind in der energiepolitischen Debatte nicht erkennbar. Die deutsche Politik sollte diese Initiativen daher, eingebunden in den europäischen Rahmen, weiter unterstützen.

Wettbewerbsintensive Endkundenmärkte bieten aus Verbrauchersicht Vorteile. Hierzu kann eine Deregulierung von Endkundenpreisen einen wichtigen Beitrag leisten. Es ist daher auf den betroffenen (Auslands-)Märkten eine versatzlose, behutsame und mit alternativen Maßnahmen flankierte Überführungsstrategie notwendig. Für die deutsche Politik besteht in diesem Kontext keine Handlungsnotwendigkeit, da die Strompreise in Deutschland nicht reguliert sind. Jedoch sollte vor dem Hintergrund der steigenden Endkundenstrompreise sichergestellt werden, dass Energiearmut außerhalb der Energiemärkte geeignet adressiert wird.

Eine gleichberechtigte Partizipation von flexiblen Verbraucher_ innen an den Strom- und Flexibilitätsmärkten ist sinnvoll und führt zu einem gleichberechtigten Wettbewerb zwischen last- und erzeugungsseitigen Technologien. Hierzu müssen insbesondere Eintrittsbarrieren im Regulierungsrahmen abgebaut werden. Eine einseitige Bevorzugung lastseitiger Flexibilitäten ist jedoch energiewirtschaftlich nicht sinnvoll und beinhaltet die Gefahr von unnötigen Kostenbelastungen der Endverbraucher_innen. Daher ist insbesondere auch ein breiter Rollout von Smart Metern zumindest in Deutschland aus Verbrauchersicht abzulehnen.

Dezentrale Eigenerzeugung und die damit ggf. verbundene Speicherung von Strom ist aus Verbraucherperspektive grundsätzlich zu begrüßen. Entstehen durch Förder- oder Ausnahmeregelungen jedoch überhöhte Anreize für die Eigenerzeugung und dadurch Verteilungseffekte zulasten anderer Verbrauchergruppen, ist dies nicht unkritisch. Es gilt abzuwarten, welche Konsequenzen sich im Einzelnen aus der Initiative der Kommission entwickeln. Aus Perspektive der deutschen Verbraucher_ innen zumindest sollten die Anreize für die Eigenerzeugung und Speicherung eher weiter abgebaut werden.

Neben den vorgenannten inhaltlichen Punkten ergibt sich der Neuigkeitswert der Energieunion auch auf organisatorischer Ebene. So sieht die Energieunion eine wichtigere Rolle für regionale Initiativen und Kooperationen zwischen den Mitgliedstaaten vor. Ein regionaler Ansatz erlaubt es den betroffenen Mitgliedstaaten, auch in nicht europaweit konsensfähigen Themengebieten, Fortschritte zu erreichen, die am Ende den Verbraucher_innen zugutekommen können. Die Energieunion kommt daher insgesamt unideologisch daher. So sind weitreichende Vorstellungen zur Harmonisierung des Marktdesigns zwar nicht verschwunden, aber doch zurückgedrängt worden durch die realpolitischen Entwicklungen der letzten Jahre. Dies spricht für Pragmatik und vergrößert sicherlich die Erfolgswahrscheinlichkeit der Energieunion. Insgesamt beinhaltet die Energieunion dabei viele Punkte, die aus Verbraucherperspektive durchaus positiv zu sehen sind.

Hier lässt sich häufig weniger die grundsätzliche Stoßrichtung kritisieren, als vielmehr, dass einzelne Initiativen nicht weit genug gehen. Auch hier wird eine abschließende Beurteilung erst anhand der weiteren Konkretisierung möglich sein.“

[note Ecke, Julius; Herrmann, Nicolai – Perspektiven einer europäischen Energieunion für Verbraucherinnen und Verbraucher, – Bonn : Friedrich-Ebert-Stiftung, Abteilung Wirtschafts- und Sozialpolitik, 2016. – 27 Seiten = 2 MB, PDF-File. – (Gute Gesellschaft – soziale Demokratie #2017plus). Electronic ed.: Bonn : FES, 2016 – ISBN 978-3-95861-321-8]

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