Heute kennt man Sie vor allem als Vater großer Energiestudien. Das dürfte damals noch Neuland gewesen sein.
Das war tatsächlich Neuland. Ende der 1970er-Jahre setzte die AGF eine große Studie auf: „Ausbau von Sekundärenergiesystemen in der Bundesrepublik Deutschland“. In dieser Studie ging es zunächst um den Transport von Energie, von Gas, Strom und vor allem auch von Fernwärme. Die Fernwärme war ein großes Thema, die Idee war: Wärme aus den Kernkraftwerken auszukoppeln und über Dutzende von Kilometern zu den Verbrauchern zu bringen. An der Studie waren unter anderem auch das Forschungszentrum Jülich, die RWTH Aachen und die Ruhrgas AG beteiligt. Wir bekamen damals einen ersten umfassenden Überblick über das deutsche Energiesystem. Die Studie erschien 1979. Sie hatte 2000 Seiten und war unser Gesellenstück. Politisch haben wir damit keine große Welle verursacht. Aber in Fachkreisen führte sie dazu, dass nun endlich die Auseinandersetzung um die Energieerzeugung begann.
Wie sah diese Auseinandersetzung aus?
Es gab noch immer die starke Seite der Kernenergie-Befürworter. Die Bundesregierung setzte eine Enquête-Kommission ein, die den Bedarf der Kernenergie ausloten sollte. Sie kam zu dem Schluss, dass sich der stetig steigende Strombedarf nur durch den massiven Ausbau der Kernenergie decken lassen würde. Für das Jahr 2000 errechnete die Kommission für Deutschland einen Bedarf von 200 Reaktoren. Auf der anderen Seite standen unter anderem unsere DLR-Gruppe, das Fraunhofer ISI mit der Gruppe um Eberhard Jochem und auch die Gründungsväter des Ökoinstituts. Wir forderten damals, dass die Energieeffizienz eine größere Rolle spielen sollte – und haben entsprechende Szenarien angefertigt. Ich sehe diese Arbeiten heute als Vorläufer der ersten Szenarien, die dann die Energiewende mit eingeläutet haben.
Bis dahin waren es aber noch 30 Jahre…
…in denen wir viel dazugelernt haben. 1978 kam Carl-Jochen Winter als neuer Vorstand der Energieforschung nach Stuttgart – ein starker Befürworter von Wasserstoff als Energieträger. Wir haben einige Jahre lang intensiv die Perspektiven des Wasserstoffs erforscht – eine Tour d’Horizon des Wasserstoffs sozusagen. Winter baute unsere Gruppe auf zehn Wissenschaftler aus. Wasserstoff, Erdwärme und Sonnenkollektoren, das waren Themen, die vor allem auch die Landesregierung von Baden-Württemberg in verschiedenen Projekten gefördert hat.
Bekannt wurden Sie auch durch ein Buch, das Sie 1990 zusammen mit Joachim Luther, dem späteren Leiter des Fraunhofer-Instituts für Solare Energiesysteme ISE, veröffentlicht haben.
…mit dem Titel „Energieversorgung der Zukunft. Rationelle Energienutzung und erneuerbare Quellen“. Wir haben darin viele Gedanken der künftigen Energiewende vorweggenommen. Wir haben Themen wie die Fluktuation von Sonnen- und Windstrom diskutiert, oder die Idee, Norden und Süden zu vernetzen, um Windstrom von der Küste in die Zentren transportieren zu können. Die Zeit war damals reif für diese Technologien. Es gab noch viele andere Studien, die sich mit solchen Aspekten befassten. Mit dem Buch aber etablierten wir uns als Energieexperten.
Wie wir heute wissen, gab es in den 1990er Jahren noch große Vorbehalte gegen die regenerativen Energien.
Natürlich. Einerseits nahm die Forschung an Fahrt auf. Am DLR haben wir zum Beispiel 1993 die Abteilung „Systemanalyse und Technikbewertung“ gegründet, für die ich zuständig war. Eine unserer Hauptaufgaben war weiterhin die Entwicklung von Energieszenarien. Für das GEO-Magazin machten wir 1993 eine Studie, in der wir die Effizienzpotenziale beleuchteten, und die Entwicklung bis 2005 in einem Szenario abbildeten. Das Echo war beachtlich. Die Studie wurde gut zweitausend Mal angefordert. Da es damals noch keine pdf-Dateien gab, kam das GEO-Sekretariat kaum mit dem Kopieren hinterher. Andererseits waren die 1990er die Zeit heftiger Dispute. Von vielen Seiten wurde bezweifelt, dass die Erneuerbaren Energien die fossil-nukleare Energieversorgung ablösen könnten. Es war gelegentlich hart, dagegen anzugehen. In unseren Studien unterzogen wir die Erneuerbaren Energien allen „Folterinstrumenten“ der Systemanalyse: Kann das technisch funktionieren? Lohnt sich das energetisch, wenn man den Lebenszyklus betrachtet? Sind sie ökonomisch vertretbar? Ein Preisverfall wie bei der Photovoltaik war damals nicht vorhersehbar.
Folgt: Der Wind drehte sich