Wähler favorisieren erpresserische Repräsentanten
Ziehen Politikerinnen und Politiker ihre Verhandlungsgegner über den Tisch und vermeiden faire Zugeständnisse, haben sie gute Chancen, wiedergewählt zu werden: Ein Klimaspiel und ein spieltheoretisches Modell zeigen, dass Probanden Repräsentanten mit erpresserischer Verhandlungsstrategie bevorzugen. Teilnehmer großer politischer Konferenzen können ein Lied davon singen – immer wieder scheitern Verhandlungen an unkooperativem, egoistischem Verhalten einzelner Unterhändler. An den jahrelangen, oft vergeblichen Einigungsversuchen auf ein Klimaabkommen lässt sich dies genauso studieren wie an den aktuellen Schwierigkeiten, die EU-Länder auf gemeinsame Quoten bei der Flüchtlingsaufnahme festzulegen. Forschern der Max-Planck-Institute für Evolutionsbiologie (Plön) und für Meteorologie sowie der Harvard-Universität zufolge liegt dies daran, dass sich Menschen lieber von erpresserischen Verhandlungsstrategen vertreten lassen: den eigenen Anteil an einer Gemeinschaftsaufgabe möglichst niedrig halten, durch standhaftes „Mauern“ andere zwingen, das Defizit auszugleichen, und am Ende vom Erreichen des gemeinsamen Ziels am meisten profitieren.
Die Forscher haben dies mithilfe eines Klimaspiels und eines spieltheoretischen Modells herausgefunden. 40 Prozent der Teilnehmer agierten demzufolge erpresserisch. Die Ergebnisse geben Anlass zu gedämpftem Optimismus: Erpressung führt schlussendlich zum Verhandlungserfolg. Alle profitieren von dieser Machivelli’schen Erpressungsstrategie, wenn das Verhandlungsziel erreicht wird – die Erpresser sehr viel, die Erpressten ein wenig. So könnte der Klimawandel trotzdem abgewendet werden.
[note Politische Konferenzen sind immer wieder Schauplätze erbittert geführter Verhandlungen, auf denen oft erst in letzter Minute eine Einigung erreicht wird. Eine Strategie, die von anderen Kooperation förmlich erpresst, ist dabei besonders erfolgreich. Als Repräsentanten bevorzugen Wähler Menschen, die eine solche Erpressungsstrategie verfolgen.]
Erpresserisches Verhalten kann erfolgreich sein, wenn Menschen wiederholt aufeinander treffen. Zu dieser Erkenntnis waren vor einigen Jahren amerikanische Wissenschaftler gekommen. Ihre Berechnungen hatten ergeben, dass erpresserische Strategien noch erfolgreicher sein können als die bis dahin als Spitzenreiter geltende kooperative „win stay – lose shift“-Strategie. Bei der Erpressungsstrategie kooperiert ein Spieler gelegentlich und verleitet seinen Mitspieler dadurch, häufiger zu kooperieren, denn nur dadurch kann der Mitspieler seinen bescheidenen Gewinn vergrößern. Der Erpresser zwingt den Mitspieler förmlich zur Kooperation, um dann immer wieder egoistisch zu agieren und seinen eigenen größeren Vorteil zu erhalten.
2015 haben Manfred Milinski vom Max-Planck-Institut für Evolutionsbiologie und Christian Hilbe, inzwischen von der Universität Harvard an das IST Austria gewechselt, die Theorie mit einem „Gefangenendilemma“-Experiment überprüft. Die Forscher kamen dabei zu dem Schluss, dass die Erpressungsstrategie auf lange Sicht nicht sehr erfolgreich ist. Mit zunehmendem Spielverlauf stellen sich die Mitspieler auf einen Erpresser ein und nehmen sogar persönliche Einbußen in Kauf, um den ausbeuterischen Spieler für sein Verhalten zu bestrafen. Auf lange Sicht schaden Erpresser sich also selbst – aber nur im Zwei-Spieler-Spiel „Gefangenendilemma“, wie sich jetzt herausstellt.
Studenten spielen große Politik
Mit ihrem neuen Experiment und Modell wenden die Forscher die Erpressungstheorie erstmals auf große Gruppen an. Der Aufwand dafür war entsprechend: Die Wissenschaftler rekrutierten 630 Studenten der Universitäten Bonn, Hamburg, Göttingen, Kiel und Münster und ließen diese dreimal ein Klimaspiel spielen. Jeder Teilnehmer erhielt 40 Euro, die er zugunsten des Weltklimas einsetzen konnte, den Restbetrag durfte er für sich behalten, wenn das Ziel, simulierten gefährlichen Klimawandel abzuwenden von der jeweiligen Gruppe erreicht wurde.
Die Wissenschaftler teilten die Studenten in Gruppen auf und untersuchten so ihr Verhalten unter unterschiedlichen Bedingungen. Einerseits gab es Gruppen aus je 18 und sechs Studenten, die direkt und ohne gewählte Vertreter ihr Geld in zehn Runden so einsetzen konnten, dass gefährlicher Klimawandel symbolisch vermieden wurde. Daneben gab es Gruppen mit je 18 Studenten, in denen je drei Studenten ein „Land“ repräsentierten und die nach dem ersten Spiel einen von sich als Vertreter ihres Landes wählen konnten. Der gewählte Unterhändler konnte dann ähnlich wie ein Politiker zusammen mit den anderen Ländervertretern in zehn Runden mit dem Geld seiner „Einwohner“ den Klimawandel aufhalten. Ziel war es, dass jedes Land die Hälfte seines Geldes dafür bereitstellt. Gebewilligere konnten dabei einen Fehlbetrag anderer Länder ausgleichen. Erreichten die Länder einer Gruppe im Mittel das 50 Prozent-Ziel nicht, mussten alle Spieler ihr restliches Geld zurückgeben.
Jeder Mitspieler konnte sich mit einem Wahlversprechen für den Posten als Unterhändler für das zweite und dritte Spiel bewerben. Dabei gab es egoistische Versprechen, weniger als die anderen zum Klimafonds beizutragen, aber auch kooperative Versprechen, mindestens einen fairen Anteil zu tragen. Ein Vertreter konnte aufgrund seines Wahlversprechens oder seines Verhaltens im vorherigen Spiel von seinen beiden Länderkollegen abgewählt und für das jeweils nächste Spiel durch einen anderen Bürger des Landes ersetzt werden.
Folgt: Erpresser sind gewünscht