Ein Kommentar und sein Widerspruch

Baake und Fell: Erneuerbare-Energien-Politik kontrovers

In einem Gastbeitrag forderte BMWi-Staatssekretär Rainer Baake am 17.03.2016 in der Wochenzeitung „Die Zeit“ einen „Paradigmenwechsel“, der die Erneuerbaren Energien zum Investitionsstandard in Deutschland macht. BDEW, GIZ und PwC veröffentlichen zudem ihre Studie „Delphi Energy Future“, nach der sich die Erneuerbaren bis 2040 weltweit durchsetzen könnten. „Fast erstaunliche Töne aus dem Bundeswirtschaftsministerium, das für die Reform verantwortlich ist“, schreibt Sandra Enkhardt im pv magazine. Denn die Erneuerbaren Energien hätten zwar 2015 bereits 12,5 Prozent des Primärenergiebedarfs, vom Bruttostromverbrauch fast ein Drittel gedeckt. Dennoch stockt eben bei Photovoltaik und Biomasse der Zubau und mit der nächsten EEG-Novelle wird ein Abwürgen der Windkraft befürchtet. Hans Josef Fell widerspricht Baake heftig in einem Leserbrief, dessen Abdruck die Zeit ablehnte.

Baake schrieb wörtlich: „Dabei geht es vor allem darum, Fehlinvestitionen zu vermeiden. Wir wollen den Umstieg bis 2050 schaffen, haben also noch dreieinhalb Jahrzehnte Zeit. Investitionen in fossile Strukturen mit einer Nutzungsdauer über 2050 hinaus führen zu ‚stranded assets‘ der beteiligten Unternehmen und werden uns in Zukunft zu teuren Reparaturmaßnahmen zwingen. Eine vorausschauende Modernisierungspolitik, die Lock-in-Effekte, spätere Kapitalvernichtung und Arbeitsplatzverluste vermeiden will, muss jetzt die Weichen richtig stellen. Effizienz und erneuerbare Energien sollten wir daher zum neuen Investitionsstandard erklären. Investitionen in fossile Strukturen müssen zur Ausnahme werden. Wir sollten sie nur noch in den Fällen tätigen, wo uns bislang technologische Alternativen fehlen oder diese unverhältnismäßig teuer sind. Die Umkehr des Regel-Ausnahmeverhältnisses, das ist der Paradigmenwechsel.“

Wind und PV bei Bitterfeld - Foto © Gerhard Hofmann, Agentur Zukunft

Foto © Gerhard Hofmann, Agentur Zukunft

Eine Schlüsselstellung komme dabei der Stromerzeugung zu, weil die Dekarbonisierung der anderen Sektoren nur mit verstärktem Stromeinsatz möglich sein werde – beim Autofahren, in der Wärmeerzeugung. Der Strommarkt werde wachsen, so Baake, trotz Effizienzmaßnahmen, mengenmäßig und qualitativ – sinnvoll nur mit CO2-freiem Strom aus Windkraft und Photovoltaik. „In diese Technologien muss weiter investiert werden“. Umsteuern sei dringlich, um Fehlinvestitionen und Lock-In-Effekte zu vermeiden – wie neue Kohlekraftwerke und Tagebauerweiterungen. Gaskraftwerke mit vergleichsweise geringen CO2-Emissionen fallen unter die Ausnahmeregelung, weil wir sie als steuerbare Kraftwerke für die Versorgungssicherheit benötigen; allerdings wird der Brennstoff Erdgas in den nächsten Jahrzehnten durch CO2-freies, regenerativ erzeugtes Gas zu ersetzen sein.

Für Neubauten forderte Baake einen Effizienzstandard, „der zusammen mit der direkten Nutzung erneuerbarer Energien und Strom zu Null CO2-Emissionen führt“. Und „einen Fahrplan, der aufzeigt, ab wann wir auf Investitionen in Öl- und Gasheizungen vollständig verzichten“. Im Verkehrssektor sei der Personen- und Güterverkehr zu nahezu 100 Prozent von fossilen Brennstoffen abhängig. Die Elektromobilität biete die Chance, im Bereich des Individualverkehrs die Energiewende zu schaffen. Baake forderte „eine Roadmap, mit der Staat und Automobilindustrie eine ehrgeizige Investitions-Strategie für den Verkehrssektor erarbeiten“. Um die Dekarbonisierung zu erreichen, müssten Investitionen in Effizienz und erneuerbare Energien zum Standard werden.

Baake weiter: „Deutschland braucht seine Klima- und Energiewendeziele in Folge der Beschlüsse von Paris nicht zu verändern. Es gibt einen Konsens unter den im Bundestag vertretenen Parteien, dass wir unsere Treibhausgase bis 2050 um 80 bis 95 Prozent gegenüber 1990 reduzieren wollen. Als Zwischenziele haben Bundesregierung und Bundestag beschlossen: Minderung der Treibhausgase bis 2020 um 40 Prozent, bis 2030 um 55 Prozent und bis 2040 um 70 Prozent.“

Vor allem für den letzten Satz kritisiert Energie-Experte und Energy Watch-Präsident Hans-Josef Fell Baake scharf: „Rainer Baake irrt und täuscht die Öffentlichkeit. In Paris wurde mit Zustimmung der Bundesregierung beschlossen, die Erderwärmung möglichst schon bei 1,5 ° C zu stoppen. Was das bedeutet, hat kürzlich das New Climate Institute berechnet: Ab 2035 darf es weltweit keine Klimagasemissionen mehr geben. Die Industrienationen wie Deutschland müssten daher z.B. im besonders emissionsstarken Energiesektor spätestens 2030 auf 100% Erneuerbare Energien umgestellt haben – wohlgemerkt in allen Energiesektoren, nicht nur bei Strom.“

Doch davon sei Deutschland mit dem Ziel von „gerade mal bei 30% Erneuerbare Energien bis 2030“ und ohne Dynamik, das in den nächsten Jahren auch nur annähernd zu erreichen „meilenweit“ entfernt. Baake sie verantwortlich dafür, dass mit der EEG-Novelle 2014 die dynamische Entwicklung im Ökostromsektor „jäh abgebrochen“ wurde. So sei 2015 in Bioenergien, Wasserkraft und Geothermie nicht mehr nennenswert investiert worden, der Solarsektor sei weit unter dem Ausbauziel der Bundesregierung geblieben. Nur noch im Windsektor gebe es starke Investitionen – „doch diese sollen nach seinen Vorschlägen ab 2017 mit der EEG Novelle 2016 massiv gekappt werden“. Fell sieht dadurch die „CO2-Emissionen im Stromsektor weiter ansteigen“, so wie „es in den Sektoren Wärme und Verkehr bereits 2015 infolge der Untätigkeit der Bundesregierung geschehen ist“.

Rauch-Wasserdampf-Fahne Kraftwerke Reuter-West und Müllverbrennungsanlage, Berlin - Foto © Gerhard Hofmann, Agentur Zukunft

Foto © Gerhard Hofmann, Agentur Zukunft

Laut Fell „sind die Ziele der Bundesregierung mit [der] vor vielen Jahren festgelegten Reduktion der Treibhausgase von 80% bis 2050 völlig unzureichend und damit unverantwortlich“ – zudem zeigten neuere Klimaforschungen, dass der Weltklimarat die tatsächliche Klimaentwicklung immer wieder unterschätze. Die „dramatische Klimaentwicklung und die Pariser Beschlüsse brauchen neue Antworten, die Rainer Baake nicht liefert, wahrscheinlich gar nicht liefern will und aus Loyalität zu seinem SPD-Wirtschaftsminister Gabriel auch nicht liefern darf“. Deutschland werde deshalb nicht den sich aus den Pariser Beschlüssen zwangsläufig ergebenden Beitrag erbringen.

Baake ist in den Augen Fells „mitverantwortlich für die völlig unzulänglichen klimapolitischen Maßnahmen der Bundesregierung. Er trägt somit auch Verantwortung für die weitere Zerstörung von menschlichen Lebensräumen durch rasant zunehmende klimabedingte Wetterextreme und den Meeresspiegelanstieg, weshalb weitere zig Millionen Menschen aus ihren Heimatländern werden flüchten müssen. Er trägt auch Verantwortung für weiter zunehmende kriegerische Spannungen im Kampf um die knappen Erdöl- und Erdgasressourcen. Er verursacht weitere Insolvenzen und zehntausende Arbeitsplatzverluste in der einst blühenden deutschen Branche der Erneuerbaren Energien. Mit seinen Gesetzesnovellen treibt er diese wichtige Zukunftsbranche weiter aus Deutschland hinaus nach China und USA – eine Bankrotterklärung deutscher Industriepolitik.“

Relativ neue Töne – so Sandra Enkhardt – kommen schließlich vom Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW), der als Stimme der konventionellen Energiewirtschaft gilt. Gemeinsam mit der Deutschen Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (GIZ) und der Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsgesellschaft PwC veröffentlichte der Verband im Rahmen des „Energy Transition Dialogue“ am 18.03.2016  die ersten Ergebnisse seiner Zukunftsstudie „Delphi Energy Future 2040“.

Bio und Wind in Brandenburg - Foto © Gerhard Hofmann, Agentur Zukunft

Foto © Gerhard Hofmann, Agentur Zukunft

Kernaussage ist, dass die erneuerbaren Energien bis 2040 die dominierende Rolle im weltweiten Energiemix einnehmen könnten. Zudem könnte ein „weltweites Klimaregime mit verbindlichen CO2-Zielen etabliert“ sein. Dabei sei der globale Umstieg auf die erneuerbaren Energie „nicht nur bezahlbar, sondern sogar wirtschaftlich attraktiv“, heißt es beim BDEW. So eröffneten sich neue Geschäftsmodelle für Unternehmen. Menschen könnten ihren Strombedarf bald durch Eigenerzeugung, Speicher und intelligente Microgrids decken. Überschüssiger Strom könnte zum Nulltarif in den Verkehrs- und Wärmesektor fließen, so die Einschätzung der für die Zukunftsstudie befragten 350 Energieexperten aus 40 Ländern. Sie gehen auch davon aus, dass sich bis 2040 in Europa eine einheitliche Energiepolitik durchsetzen werde.

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