Was bedeutet das BGH-Urteil zum Anlagenbegriff für die Betreiber?
Interview mit Rechtsanwältin Magarete von Oppen – mit freundlicher Genehmigung von Solarpraxis
Am 04.12.2015 hat der Bundesgerichtshof (BGH) anlässlich einer Entscheidung über eine „mobile Inbetriebnahme“ (Inbetriebnahme auf provisorischen Gestellen in einer Halle mittels Glühlampentest) den Anlagenbegriff zum Entsetzen der Branche neu definiert. Anlage sei die nach der Konzeption eines vernünftigen Anlagenbetreibers errichtete Gesamtinstallation an dem dafür vorgesehenen Standort, einschließlich der Gestelltechnik.
Teils noch im Dezember erhielten Anlagenbetreiber Post vom zuständigen Netzbetreiber mit der Aufforderung unter Berücksichtigung der BGH-Rechtsprechung das richtige Inbetriebnahmedatum mitzuteilen und einen Verjährungsverzicht zu erklären.
Warum fordern Netzbetreiber eine Korrektur des Inbetriebnahmedatums?
Die Zielrichtung der Aktion war klar: Es ging um die Absenkung der Förderung für die Zukunft und die Rückforderung von Überzahlungen für die Vergangenheit. Ein teilweise berechtigtes Anliegen. Netzbetreiber sind gesetzlich zur Rückforderung von Überzahlungen verpflichtet.
Was hat es mit dem Verjährungsverzicht auf sich?
Die Verpflichtung zur Rückforderung gilt allerdings nur in den Grenzen der Verjährung. Der zum Teil wohl mit telefonischem Nachhaken verfolgte Verjährungsverzicht ging meines Erachtens etwas weit.
Wie reagieren die Betreiber?
Verschreckte Anlagenbetreiber gaben den Druck denn auch gleich weiter. Sie drohten Errichtern mit Schadensersatzansprüchen in Höhe der Differenz zwischen erwarteter und tatsächlicher Förderung für die Dauer der gesamten Laufzeit.
Was bedeutet das BGH-Urteil für Branche und Gesellschaft?
Die Existenzängste wachsen, es droht Stillstand der Rechtspflege und der Energieversorgung wegen einer Flut von Rückforderungs- und Schadensersatzprozessen. Und es droht ein vermutlich absurder Verwaltungsaufwand für nachträgliche Korrekturen im Belastungsausgleich.
Wie hat die Bundesregierung auf das Urteil reagiert?
Der am 29. Februar vorgelegte Referentenentwurf zum EEG 2016 verspricht den unangenehmen „BGH-Folgeaktivitäten“ die Spitze zu nehmen, indem er folgendes vorsieht:
- Bei Solaranlagen ist das Modul die Anlage.
- Netzbetreiber müssen für einen Zeitraum von zwei Jahren gerechnet ab dem ersten auf eine höchstrichterliche Entscheidung folgenden Kalenderjahr Überzahlungen nicht zurückfordern, sofern geleistete Zahlungen im Einklang mit der Spruchpraxis der Clearingstelle EEG standen.
Mit Inkrafttreten des EEG 2016 gilt diese Regelung auch für die Vergangenheit. Bleibt der Zeitraum zwischen BGH-Urteil und Inkrafttreten, in dem Netzbetreiber grundsätzlich zurückfordern müssen.
Sind Forderungen der Betreiber gegen Anlagenerrichter also gerechtfertigt?
Anlagenerrichter können zwar nicht auf den Gesetzgeber, aber unter Umständen auf eine günstige rechtliche Einordnung ihres Verhaltens und auf die Verjährung hoffen. Sofern sie nicht ausdrücklich eine bestimmte Förderhöhe zugesichert haben, werden sich Kunden auf Ertragsprognosen berufen können, denen der Fördersatz zugrunde liegt. Die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass ein Gericht daraus zumindest einen unselbständigen Beratungsfehler ableitet.
Die Folge ist, dass ein Kunde „nur“ verlangen kann, wirtschaftlich so gestellt zu werden, wie er ohne Vertragsschluss stünde, also keinen Anspruch auf entgangenen Gewinn (entgangene Einspeisevergütung) geltend machen kann. Außerdem verjährt ein solcher Schadensersatzanspruch wegen Verstoßes gegen eine unabhängige Beratungspflicht jedenfalls bei Aufdachanlagen innerhalb derselben Verjährungsfrist wie Sachmängelansprüche, also zwei Jahre ab Übergabe der vertraglich vereinbarten Leistung. Da die meisten Fälle mobiler Inbetriebnahmen in den Jahren 2010 bis 2012 stattfanden, kann es für Errichter glimpflich ausgehen.
Was genau sollten die Betreiber von PV-Anlagen tun, wenn sie ein Schreiben des Netzbetreibers erhalten?
Auf keinen Fall den Verjährungsverzicht unterschreiben. Falls offensichtlich ist, dass die mobile Inbetriebnahme fehlerhaft war, das korrekte Datum nennen. Unbedingt Rücklagen für mögliche Rückforderungsansprüche bilden.
Falls das Datum für die mobile Inbetriebnahme nicht offensichtlich fehlerhaft war, dann sollten Betreiber am Besten abwarten. Jeder Einzelfall erfordert eine individuelle Bewertung, es gibt also keinen Grund, im vorauseilenden Gehorsam aktiv zu werden.
Das Interview führte Tina Barroso, Solarpraxis Neue Energiewelt AG.
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