Einfache Formel statt aufwändiger Simulationen
Üblicherweise konzentriert man sich bei der Suche nach solchen Schwachstellen auf einzelne Abschnitte des Stromnetzes – einzelne Leitungen, die zwei Punkte miteinander verbinden, zwei Städte zum Beispiel. Bislang gilt die Faustregel, dass ein Abschnitt vor allem dann kritisch sein kann, wenn dort im Verhältnis zur geringen Größe der Leitung viel Strom fließt. Dabei nehmen Fachleute an, dass, je größer der Stromfluss und je stärker die Leitung belastet ist, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass sich ein Stromausfall ereignet, wenn die Leitung ausfällt. Für die Suche nach Schwachstellen setzen die Energieversorger und Netzbetreiber aufwändige Simulationen ein. Damit wird durchgespielt, wie das Stromnetz reagiert, wenn eine einzelne Leitung ausfällt. Tausende von Simulationen sind dafür nötig.
Einfache Faustregeln aber können trügerisch sein, wenn sie scheinbar unwichtige Effekte ausblenden. Intuitiv nimmt man zwar an, dass eine Stromleitung umso wichtiger und unersetzlicher ist, je mehr Strom sie transportiert, aber in entscheidenden Situationen kann diese einfache Regel auch falsch sein. Das haben der Physiker Marc Timme (li.) vom Göttinger Max-Planck-Institut für Dynamik und Selbstorganisation, sein Kollege Dirk Witthaut vom Forschungszentrum Jülich und Mitarbeiter in Göttingen in einem aktuellen Fachartikel im Magazin Physical Review Letters gezeigt. Mehr noch: Den Wissenschaftlern ist es gelungen, eine einfache Formel abzuleiten, mit der man im Handumrehen abschätzen kann, ob eine Leitung tatsächlich unersetzlich ist oder nicht – ganz ohne aufwändige und zeitraubende Simulation.
„Anhand der Verschaltungsstruktur des Stromnetzes und der aktuellen Auslastung der Leitungen können wir jetzt schon vor einem Ausfall berechnen, welche Leitungen am kritischsten sind.“ sagt Timme. „Wir konnten am Beispiel des britischen Stromnetzes illustrieren, dass eine stark belastete Leitung nicht grundsätzlich kritisch sein muss.“
Ob der Ausfall der Leitung zum Problem wird, hängt nämlich nicht nur von der aktuellen Auslastung dieser einen Leitung ab, sondern auch davon, wie das umgebende Stromnetz geknüpft und ausgelastet ist.
Folgt: Ob ein Stromausfall droht, hängt von der Struktur des gesamten Netzes ab