Ob ein Stromausfall droht, hängt von der Struktur des gesamten Netzes ab
In der Regel wird der Ausfall einer Leitung dann zum Problem, wenn der Strom keine Alternativroute findet, über die er zum Verbraucher fließen kann. Das ist ähnlich wie bei einer Kanalisation, die bei Sturzregen überläuft, weil ein Rohr verstopft ist. Eine hochbelastete Leitung ist also nicht unbedingt auch kritisch – nämlich dann nicht, wenn das Stromnetz so geknüpft ist, dass der Strom im Schadensfall einen oder sogar mehrere Umwege nehmen kann.
Die Herausforderung bei dieser Forschung besteht darin, dass sich nach dem Ausfall einer einzigen Leitung die Auslastung aller Leitungen im Stromnetz verändert, weil der Strom sich selbstorganisiert neue Wege bahnt. Die lokale Situation hängt damit also von der Gesamtstruktur des Netzes ab. In ihren mathematischen Berechnungen berücksichtigen die Forscher diese Netzstruktur explizit. So geht in die Formel zunächst das Wissen über das ursprüngliche Stromnetz vor dem Schadensfall ein. Dann fügen sie eine Störung in einem bestimmten Abschnitt des Netzes, der Leitung „AB“, hinzu. Als Ergebnis erhalten die Forscher dann eine Zahl, die sagt, wie gut das restliche Netz den Ausfall kompensieren kann. Ist diese Zahl zu klein, ist ein Blackout wahrscheinlich.
Wie die allgemeinen mathematischen Ergebnisse und die Analyse des britischen Stromnetzes zeigte, gibt die intuitive Annahme „hochbelastet“ gleich „kritisch“ zwar einen groben Anhaltspunkt. „Sie trifft aber keineswegs immer zu, weil Netzwerkeffekte eine zentrale Rolle spielen“, sagt Timme.
Eine Rangliste der problematischen Netzabschnitte
Für gewöhnlich gehen Simulationen von einem lokalen Schadensfall aus und errechnen dann im Detail, wie das Stromnetz reagiert. Das Wissenschaftlerteam hat jetzt mit seiner Formel eine weitaus einfachere Alternative zur klassischen „Was-passiert-dann“-Simulation gefunden. In Windeseile lassen sich für x-beliebige Streckenabschnitte die Kritikalitäten errechnen, ohne Tausende von Schadensfällen in der Simulation durchspielen zu müssen. „Alles in allem können wir jetzt deutlich besser vorhersagen, ob ein Netzabschnitt kritisch ist oder nicht“, betont Martin Rohden, Koautor und früherer Mitarbeiter am Max-Planck-Institut.
Allerdings wird die Formel die Simulationen nicht überflüssig machen. In eine solche Simulation geht auch viel Erfahrungswissen ein, zudem kann man damit einen Ausfall im Stromnetz bis ins Detail nachstellen. Die neue Methode zeigt vielmehr unmissverständlich, wo die Ursachen dieser Probleme liegen und wie sie behoben werden können. Mit einem Blick erkennt man mögliche Bedrohungen. Damit liefert die Formel auch einen neuen Ansatz, um die Stromnetze der Zukunft zu optimieren. Letztlich kann so die Robustheit des gesamten Netzes gesteigert werden, um einzelne Fehler zu kompensieren. Mehr noch: „Mit unserer Formel können wir eine Rangliste erstellen, nach der detaillierte Simulationen durchgespielt werden“, so Timme. Für die Netzbetreiber und Energieversorger eine enorme Arbeitserleichterung.
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