Klimamigration – die wievielte?

Längst Gewissheit

Dürren, Überschwemmungen und Hitzewellen treiben schon heute Millionen Menschen in die Flucht – mehr als vor Kriegen fliehen – und die Lage wird sich weiter zuspitzen, darüber herrscht inzwischen Gewissheit. „Der Klimawandel verstärkt die Risikofaktoren“, sagte Jacob Schewe vom Potsdamer Institut für Klimafolgenforschung (PIK) bei einem gemeinsamen Pressetermin von Klima- und Migrationsforschern am 20.05.2016 in Berlin.

Die meisten der 20 Millionen Binnnenflüchtlinge verlassen aufgrund des menschengemachten Klimawandels ihre Heimat. Ausschlaggebend sind häufigere und intensivere Wirbelstürme, Hitzewellen, Dürren oder Extremniederschläge. Pro Grad Temperaturanstieg nehmen laut Schewe die Starkregenfälle um zehn Prozent zu. Schon seit den 80er Jahren gebe es etwa mehr extreme Niederschläge, als ohne die Erwärmung der Atmosphäre zu erwarten wären. Dieser Trend werde sich „sehr wahrscheinlich fortsetzen“.

Susanne Melde von der internationalen Organisation für Migration (IOM) erläuterte, dass die sogenannte Umweltmigration hauptsächlich im Landesinneren stattfinde. Allein 2015 seien doppelt so viele Menschen vor Wetterextremen und Umweltkatastrophen geflohen wie vor Gewalt und Konflikten.

Schon jetzt ist die Situation dramatisch. Die Zahlen des Internal Displacement Monitoring Centre umfassen aber nur die Umweltflüchtlinge, die innerhalb ihres Heimatlandes bleiben. Das seien allerdings die allermeisten, erklärt Melde. 2015 habe es 19,2 Millionen Menschen getroffen. Vor Krieg und Gewalt seien dagegen 8,6 Millionen geflohen – nicht einmal halb so viele.

Überschwemmung bei Halle (Saale) - Foto © Gerhard Hofmann, Agentur Zukunft-20130615-für SolarifyDass die von Hitze, Fluten oder Erdrutschen Vertriebenen meist in der Region oder jedenfalls im Land blieben, könnte ein Grund dafür sein, dass die meisten Menschen bei Flucht zuerst an Krieg und Terror dächten. „Es geht nicht um Millionen Menschen, die nach Europa kommen“, sagt Melde. „Die Ärmsten sind nicht diejenigen, die migrieren. Sie haben kein Geld, den Bus zu nehmen oder ein Flugticket zu kaufen.“ Viele der Menschen lebten jahrelang in Lagern oder verlören ihre Lebensgrundlage. „Was bei Umsiedlung sehr oft vergessen wird, ist, dass die Menschen ein Einkommen brauchen.“ So habe man in Vietnam ganze Fischerdörfer ins Inland verpflanzt, weit weg vom Meer – sie kehrten wieder zurück.

Inwieweit der Klimawandel wirklich Naturkatastrophen verursacht, lässt sich im Einzelfall schwer feststellen. Modelle legen jedoch die Befürchtung nahe, dass die Wetterextreme deutlich zunehmen werden, selbst wenn die in Paris beschlossene Begrenzung der Erwärmung auf maximal zwei Grad eingehalten werden sollte.

Mariam Traore Chazalnoel, wie Melde IOM-Mitarbeiterin, nahm an den Bonner Nach-COP21-Gesprächen teil: Bis 2008 habe sich niemand mit Klima-Flüchtlingen beschäftigt, aber „seitdem ist das Interesse explodiert.“ Die Klimadiplomaten der Welt hätten das Thema inzwischen auf der Agenda, so Chazalnoel. So werbe etwa das Deutsche Rote Kreuz beim anstehenden Weltgipfel zur humanitären Hilfe in Istanbul für bessere Vorsorge gegen die Folgen klimabedingter Naturkatastrophen.

Was tun, damit nicht immer mehr Menschen vor Wetterextremen fliehen müssen und dadurch ihre Lebensgrundlagen verlieren? Agrarökonom Hermann Lotze-Campen (Humboldt-Universität Berlin und PIK-Potsdam) zählte als mögliche Maßnahmen auf: widerstandsfähigere Pflanzen-Sorten züchten, Böden schützen, Bewässerung verbessern, Versicherungen einführen, Marktrisiken streuen. Agrarforschung sei „ganz wichtig“.

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