Industrie 4.0
Ich will aber zurück zur Industrie 4.0 kommen. Wir sind in klassischen Industriekompetenzen stark – sowohl in den großen als auch in den mittelständischen Unternehmen. Aber diese klassischen Industriekompetenzen treten jetzt sozusagen in einen akuten Wettbewerb mit denen ein, die klassischerweise Kompetenzen im Datenmanagement haben, nämlich mit Internetunternehmen. Die Frage ist: Wer ist in der Lage, Datenverarbeitung und Big-Data-Management kundenorientiert zu nutzen und wer hat zum Schluss die Wertschöpfung in der Hand? Ist das derjenige, der klassischerweise Industriegüter produziert, oder ist es derjenige, der aus dem Internetbereich kommt und das Industriegut als Produkt einer verlängerten Werkbank betrachtet? Wir haben gute Chancen, die Schlacht zu gewinnen. Aber die Risiken sind nicht unerheblich. Wir wollen natürlich, dass Deutschland vorne mit dabei ist. Nun heißt das, vor allen Dingen die Chancen zu sehen.
Die Elektroindustrie ist einer der Treiber dieser Entwicklung. Sie haben ja auch das Referenzarchitekturmodell Industrie 4.0 entworfen. Dies kann man sich als eine Art Schablone vorstellen, die Aufschluss darüber gibt, welche digitalen Anforderungen auf den verschiedenen Ebenen des Geschäftsprozesses zu erfüllen sind. Es ist sicherlich richtig, dass man sehr offen darüber spricht, was neu entsteht, was verschwindet oder ersetzt wird. Ich glaube, dass, wenn wir das Neue wirklich in vollem Umfang akzeptieren, unter dem Strich die Chancen größer als die Risiken sind. Das setzt aber voraus, dass wir auch Fähigkeiten, Fertigkeiten und Möglichkeiten haben, in das Management der Daten mit einzutreten. Die eigentliche große Aufgabe sehe ich darin, ein Umfeld zu schaffen – das ist mit der europäischen Datenschutz-Grundverordnung schon relativ gut gelungen –, in dem Big-Data-Management auch in Europa zu vernünftigen Bedingungen stattfinden kann und in dem wir Wettbewerbsgleichheit zwischen den verschiedenen Anbietern haben, was heute zwischen den Vereinigten Staaten von Amerika und der Europäischen Union noch nicht der Fall ist.
Umso wichtiger ist es, dass nicht nur die Bundesregierung ihre Hausaufgaben macht, sondern dass Europa ein „level playing field“, wie man so schön sagt, schafft, also ein gleichmäßiges Wettbewerbsumfeld, in dem wir die Vorteile des europäischen Binnenmarkts nutzen können, in dem alle Anbieter ähnliche Konditionen vorfinden und in dem wir eine gute Balance von individuellem Datenschutz und Möglichkeiten des Datenmanagements hinbekommen. Das wird nicht ganz einfach, wenn ich nur daran denke, dass die Datenschutz-Grundverordnung, die wir jetzt glücklicherweise verabschiedet haben, eine Vielzahl unbestimmter Rechtsbegriffe enthält, die in den 28 Mitgliedstaaten wiederum unterschiedlich ausgelegt werden können. Wir müssen sehr darauf aufpassen, dass das nicht in eine Flut von Zerstückelung ausartet, sondern dass der Binnenmarkt auch in diesem Bereich wirklich sichtbar bleibt.
Ich glaube, die Herausforderung wird von den großen, aber auch von vielen mittleren Unternehmen nicht nur erkannt, sondern auch angenommen, was – wenn ich an meine Besuche in Unternehmen denke, die sich der Industrie 4.0 widmen – auch bedeutet, dass sich die gesamte Architektur von Unternehmen verändert. Die Hierarchien werden eher flacher, die Netzwerke intensiver. Die Interoperabilität, die Kommunikation zwischen den verschiedenen Bereichen muss da sein. Ich glaube, dass man stärker als bisher einen Blick auf den Kunden haben muss und dass man dem Kunden den Mehrwert dessen erklären muss, was man tut, und dass man ihn dazu einladen muss, diesen Mehrwert auch wirklich zu nutzen. Ansonsten wird die Entwicklung nicht ausreichend betrieben werden.
Es ist sicherlich ganz wichtig, dass auch Sie in Ihrem Verband darauf achten, dass alle Unternehmen mitgenommen werden. Ich denke, dass die Zulieferer sozusagen von ihren Bestellern dazu eingeladen werden, sich am digitalen Wandel zu beteiligen. Aber es kann eigentlich nicht schnell genug gehen, dass man das gesamte System auch ein Stück weit neu denkt.
Wir versuchen, dem Mittelstand auf diesem Weg zu helfen, indem wir „Mittelstand 4.0-Kompetenzzentren“ anbieten. Zehn sind vorgesehen, die ersten haben bereits die Arbeit aufgenommen. Sie beraten, sie bieten Anschauungsmaterial und die Gelegenheit, neue Industrie 4.0-Anwendungen zu erproben. Ich glaube, dass das für neue oder junge Unternehmen spannend sein kann. Wir hoffen, dass daraus eine bestimmte Dynamik entsteht.
Wir wissen, dass eine ganz entscheidende Rolle auch das Bildungssystem spielt. Wir müssen das Thema „digitale Bildung“ im Bildungssystem noch sehr viel besser verankern. Das ist eine Aufgabe von Bund und Ländern. Schülerinnen, Schüler und Auszubildende müssen sich auf die Anforderungen der digitalen Arbeitswelt und der neuen Wissensgesellschaft vorbereiten. Der Bund, obwohl für die Schulen nicht zuständig, versucht vor allen Dingen, in der Lehrerbildung Anstöße zu geben, weil natürlich nur Lehrer, die firm sind, digitale Kompetenzen vermitteln können. Wir werden uns bei der Fort- und Weiterbildung auf neue Notwendigkeiten einstellen und das lebenslange Lernen verwirklichen müssen. Die Unternehmen machen das zum Teil; zum Teil ist das in den Tarifverträgen verankert. Wir haben neulich bei unserer Kabinettsklausur in Bezug auf die Digitale Agenda auch darüber gesprochen, ob zum Beispiel auf die Bundesagentur für Arbeit im Hinblick auf die Qualifizierung neue Aufgaben zukommen. Digitale Kompetenzen müssen also sozusagen in den Alltag einziehen. Deshalb wird das Thema Bildung beim nächsten IT-Gipfel, der im Saarland stattfinden wird, eine zentrale Rolle spielen.
Wir müssen Menschen begeistern, sich in dieser neuen Welt wohlzufühlen. Damit komme ich auf MINT-Berufe zu sprechen, wie sie so schön heißen – also mathematische, ingenieurwissenschaftliche, naturwissenschaftliche und technische Berufe. Hierzu sind insbesondere Mädchen noch stärker einzuladen. Wir haben zwar gewisse Fortschritte gemacht, aber angesichts unserer demografischen Entwicklung brauchen wir mehr Mädchen etwa in den technischen Berufen. Ich danke allen, die sich darum bemühen, Mädchen Mut zu machen. Eigentlich braucht man ihnen gar keinen Mut zu machen. Ich habe es auch irgendwie geschafft. Man muss aber einen kleinen Anschub geben und auch darauf hinweisen, dass die Möglichkeiten, lebenslang eine qualifizierte Stelle einzunehmen und auch vernünftig zu verdienen, eigentlich sehr gut sind.
Folgt: Zwei Aufgaben