Neue Studie: Windkraft bedroht Mäusebussard-Bestand (doch) nicht
Entgegen den Ergebnissen der sogenannten Progress-Studie, gefährden Windparks den Bestand von bedrohten Vogelarten nicht. Vielmehr handle es sich hierbei um ein Scheinproblem, teil Hans-Josef Fell mit. Zu dieser Erkenntnis komme eine jüngst vom Umweltbüro KohleNusbaumer in Lausanne veröffentlichte neue Studie, in deren Mittelpunkt wieder die Auswirkungen von Windkraftanlagen auf den Bestand des Mäusebussards standen. Damit geht der Streit zwischen Wind-Fans und Naturschützern (siehe: solarify.eu/neues-von-rotmilan-und-maeusebussard) in eine neue Runde.
Die aktuelle Studie belege vielmehr, dass die Bestände von Greifvögeln, wie auch anderer als windsensibel eingestuften Vogelarten parallel zum forcierten Ausbau der Windenergie in Deutschland einen historischen Höchststand erreicht hätten. Mittlerweile stelle der Mäusebussard die mit Abstand am häufigsten vertretende Greifvogelart dar: gegenwärtig gebe es zwischen 80.000 und 135.000 Brutpaare im gesamten Bundesgebiet.
Fehlerhafte Schlussfolgerung
Die Erhebung verweist viel mehr auf eine fehlerhafte Schlussfolgerung: Zwar übertreffe der Mäusebussard mit 373 registrierten Windkraftopfern andere Greifvogelarten, unter Einbezug der Bestandsgröße relativiere sich dieses Bild jedoch. Im Vergleich zum seltenen Seeadler, wiesen Mäusebussarde eine 50-mal geringere Wahrscheinlichkeit auf, Opfer einer Windkraftanlage zu werden.
„Die Behauptung, Windkraft wirke sich negativ auf den Bestand bedrohter Vogelarten aus, wie sie von Windkraftgegnern seit Jahren aufgestellt wird, ist wissenschaftlich schlicht nicht haltbar. Die neuste Studie mit korrekter Bewertung der Auswirkungen der Windenergie auf den Mäusebussard belegt, dass Klimaschutz und Erhalt der Artenvielfalt einander nicht widersprechen. Es ist dringend notwendig, dieses Vorurteil ein für alle mal aus der Welt zu schaffen“, sagt Ex-Grünen-MdB Hans-Josef Fell. „Im Gegenteil: die Windkraft ist unverzichtbar für den Klimaschutz und hilft damit die Erderwärmung zu bekämpfen, die heute schon Hauptursache für den Artenschwund auf der Erde ist“, so Fell weiter.
In der Fundkartei für Kollisionsopfer der Vogelschutzwarte Brandenburg nehme der Mäusebussard nach absoluten Zahlen zwar den ersten Platz ein. „Trotz des ersten Platzes entspricht die Zahl der Funde wegen der Häufigkeit des Mäusebussards nur einem Anteil von verschwindend geringen 0,01 % der Verluste“, so Studienautor Oliver Kohle. „Der Rückgang der Verluste durch das Stromnetz ist 100-mal höher als die Zunahme durch die Windenergie.“
Solche „fehlerhaften und unvollständigen Analysen“ schürten die Konflikte mit den Naturschutzorganisationen. Basierend auf den inkorrekten Aussagen der Progress-Studie fordere der NABU aktuell eine Kopplung des Windenergieausbaus an die allgemeine Populationsentwicklung, bei abnehmenden Beständen sollen gar bestehende Anlagen abgebaut werden. Eine entsprechende Umsetzung ließe allerdings andere, viel schwererwiegende Gründe für den Rückgang von Populationen, wie beispielsweise die Ausweitung der intensiven Landwirtschaft, vollkommen außer acht. Die Studie des Schweizer Umweltbüros decke Fehlerhaftigkeit und Regressivität dieser Forderungen auf und weise viel mehr die erfolgreiche Koexistenz von Mäusebussarden und Windkraftanlagen nach.
NABU vergleicht Fells Argumentation mit Klimaskeptikern
Der NABU weiß, wo es weh tut und verglich das Vorgehen Fells und der Windbefürworter in einer Erklärung („Offenkundige Parallele zu Klimawandelskeptikern“) mit der Argumentation der Klimaskeptiker: Mit unhaltbaren Argumenten werde versucht, Aussagen wissenschaftliche Erkenntnisse zur Problematik des Artenschutzes beim Ausbau der Windenergie zu diskreditieren. „Inzwischen erinnert der missionarische Eifer lautstarker Teile der Windenergiebranche beim Thema Artenschutz und Windenergie an das Vorgehen der Klimaskeptiker, die durch wiederholtes Infragestellen wissenschaftlicher Erkenntnisse versuchen, Zweifel an der Existenz des Klimawandels zu streuen, um dadurch den Ausbau erneuerbarer Energien zu verhindern. Stattdessen wäre es dringend notwendig, dass sich die Branche der Problematik stellt und gemeinsam mit Behörden, Experten und Umweltverbänden praktische Lösungen entwickelt und umsetzt,“ sagte NABU-Bundesgeschäftsführer Leif Miller.
12.000 getötete Mäusebussarde im Jahr
Stein des Anstoßes sei die erwartete Veröffentlichung der sogenannten Progress-Studie, der bisher umfassendsten und repräsentativsten Studie zur tatsächlichen Zahl von Vogelkollisionen an Windrädern und die daraus abzuleitenden Auswirkungen auf die Populationen besonders betroffener Vogelarten, die von einem Konsortium unabhängiger Fachbüros und Universitäten durchgeführt und vom BMWi gefördert worden sei. Während die bereits im Januar von der Süddeutschen Zeitung in Teilen vorgestellte Studie bestätige, dass die Schlagopferzahlen für die meisten Vogelarten nicht bestandsrelevant seien, zeige sie gleichzeitig, dass einige Vogelarten – vor allem der Rotmilan (li.) – so stark betroffen seien, dass von einer Gefährdung der heimischen Populationen durch die Windkraft ausgegangen werden müsse.
Der NABU wörtlich weiter: „Insbesondere für den deutschlandweit verbreiteten Mäusebussard belegt die Studie für den norddeutschen Raum eine Rate von 0,48 erschlagenen Mäusebussarden pro Windrad und Jahr. Deutschlandweit muss daher bei gut 26.000 bestehenden Windrädern von über 12.000 getöteten Mäusebussarden pro Jahr ausgegangen werden – bei einem Bestand von etwa 100.000 Brutpaaren. Populationsberechnungen Im Rahmen der Studie zeigen, dass in Regionen mit fortgeschrittenem Ausbaustand der Windenergie bereits heute Populationsabnahmen mit dieser Sterblichkeit erklärt werden können. Die aktuelle starke Bestandsabnahme im besonders windkraftreichen Schleswig-Holstein bestätigt diese Erkenntnis bereits heute.“
Deswegen beim weiteren Ausbau der Windenergie Rücksicht auf den Mäusebussard oder andere betroffene Arten wie den Rotmilan zu nehmen, komme dem ehemaligen Bundestagsabgeordneten Hans-Josef Fell und dem Schweizer Windkraftentwickler und Umweltplaner Oliver Kohle „nicht in den Sinn. Stattdessen soll eine neue ‚Studie‘ die Aussagen der Progress-Studie in Frage stellen, obwohl Herrn Kohle diese unveröffentlichte Studie noch gar nicht vorliegen kann.“
Unter anderem behaupteten Fell und Kohle, dass der Bestand des Mäusebussards parallel zum Bau von Deutschlands 26.000 Windrädern angestiegen sei. Das Gegenteil sei der Fall: Nach den offiziellen Monitoringdaten, die in Deutschland vom Programm zum Monitoring von Greifvögeln und Eulen erhoben würden, habe der bundesweite Mäusebussard-Bestand zwar von 1988 bis 2006 leicht zu-, anschließend bis zum Ende der Datenreihe im Jahr 2013, also parallel zum Ausbau der Windkraft, jedoch um mindestens 30 Prozent abgenommen. Dabei sei davon auszugehen, dass in diesen Zahlen stärkere Abnahmen in windradreichen Gegenden Norddeutschlands durch bessere Trends im windkraftarmen Süden zum Teil ausgeglichen würden.
„Das Ergebnis der Progress-Studie ist der erste Hinweis darauf, dass allein das Einhalten von Mindestabständen zwischen gefährdeten Vogelvorkommen und Windrädern, wie sie im sogenannten Helgoländer Papier der staatlichen Vogelschutzwarten formuliert sind, nicht ausreicht, um alle Vogelarten ausreichend zu schützen“, so der NABU. Für den Mäusebussard werde darin bisher kein Mindestabstand gefordert. Nach Ansicht des NABU gerät die Vermeidung negativer Auswirkungen durch eine vorsorgende Wahl von Windrad-Standorten unter Verwendung von Mindestabständen aufgrund des fast flächendeckenden Vorkommens des Mäusebussards in diesem Fall an ihre Grenzen.
Solarify meint: Für den NABU ist „das Ergebnis der Progress-Studie … der erste Hinweis darauf, dass allein das Einhalten von Mindestabständen zwischen gefährdeten Vogelvorkommen und Windrädern nicht ausreicht, um alle Vogelarten ausreichend zu schützen“. Die Naturschützer kennen also Inhalte einer Studie, von der sie weiter oben sagten, dass „Herrn Kohle diese unveröffentlichte Studie noch gar nicht vorliegen kann“. Was nun? Eine alte Erfahrung lehrt: Wer sich polemisch werden zu müssen gezwungen sieht, hat meist die schwächeren Argumente. Was nichts gegen eine geschliffene Polemik sagt…
Ausbau der Windkraft müsse naturverträglich erfolgen
Der NABU fordert daher, den weiteren Ausbau der Windenergie an die Populations-Entwicklung der betreffenden Art zu koppeln und dadurch geltendem Artenschutzrecht zu entsprechen. Nur wenn die Population der Art in einem bestimmten Bundesland nicht weiter abnimmt, dürften neue Genehmigungen für WEA im Vorkommensgebiet der Art erteilt werden. Dann wäre ein weiterer Ausbau der Windenergie im betreffenden Bundesland weiterhin möglich, solange Maßnahmen getroffen würden, um die regionalen Bestände der Art zu stützen.
Diese sollten sowohl eine Minderung der Auswirkungen der WEA beinhalten (Rückbau besonders kollisionsträchtiger WEA, großflächiges Freihalten besonders wichtiger Vorkommensgebiete und notfalls auch Mindestabstände) als auch Maßnahmen zur Verringerung der Mortalität durch andere Ursachen (illegale Verfolgung, Straßenverkehr, Stromschlag) und Maßnahmen zur Erhöhung des Bruterfolges (Lebensraumverbesserungen unter anderem durch landwirtschaftliche Regelungen gezielte Agrarumweltmaßnahmen oder spezielle Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen). Ein gezieltes Monitoring der betreffenden Population müsse die Wirksamkeit der Maßnahmen belegen, wovon die Genehmigungsfähigkeit neuer WEA abhänge. Mit dieser Vorgehensweise wäre es möglich, den notwendigen weiteren Ausbau der Windenergie im Sinne einer naturverträglichen Energiewende mit dem Schutz gefährdeter Arten zu verbinden. „Wir erwarten von der Windkraftbranche eine konstruktive Auseinandersetzung mit dem Thema, die über das generelle Infragestellen der Problematik hinausgeht“, betonte Miller.
Das Projekt PROGRESS wurde von BioConsult SH in Zusammenarbeit mit ARSU, IfAÖ und der Universität Bielefeld durchgeführt. Es galt der Ermittlung der Kollisionsraten von (Greif-) Vögeln und der Schaffung planungsbezogener Grundlagen für die Prognose und Bewertung des Kollisionsrisikos durch Windenergieanlagen. Kollisionen von Vögeln (und Fledermäusen) gelten als ein zentrales Konfliktfeld zwischen dem Ausbau der Windenergienutzung und dem Naturschutz. Da zahlreiche Vogelarten und alle Greifvogelarten besonderen gesetzlichen Schutz genießen sind Kollisionen ein wichtiger artenschutzrechtlicher Aspekt in den Genehmigungsverfahren. Aus diesem Grund war es Ziel des Projektes, mit einer systematischen Freilandstudie innerhalb von drei Jahren in mehreren norddeutschen Bundesländern repräsentative Daten zur Kollisionsrate von Vögeln mit Windenergieanlagen an Land zu erhalten. Dazu wurden regelmäßige Linientransektsuchen nach Kollisionsopfern durchgeführt. Mit Hilfe von experimentell bestimmten Korrekturfaktoren wurde die Anzahl tatsächlich kollidierter Vogel berechnet. Weiterhin wurden Verhaltensbeobachtungen von Vögeln zur Bewertung des Kollisionsrisikos an bestehenden Anlagen durchgeführt. Darüber hinaus sollte der Einfluss der zusätzlichen Mortalität modelliert und damit die Frage der Erheblichkeit auf Populationsniveau behandelt werden.
->Quellen und mehr:
- hans-josef-fell.de/neue-studie-belegt-rotmilan-nicht-durch-windkraft-gefaehrdet
- sueddeutsche.de/progress-studie-rotmilan-leidet-unter-windkraftausbau
- Windenergie und Rotmilan : Ein Scheinproblem
- kn-sa.ch/#!rotmilan
- Rotmilan und Windenergie – ein Faktencheck
- NABU-Faktencheck zur Studie „Windenergie und Rotmilan – Ein Scheinproblem“
- Stellungnahme zum NABU-Faktencheck „Rotmilan und Windenergie“
- Infos zur PROGRESS-Studie
- Interview zur Progress-Studie aus „Der Falke“ 3/2016
- Bitte Abstand halten!
- nabu.de/windenergie
- nabu.de