Oder: SPD schizophren
Politiker (und Journalisten) sollten vorsichtig mit Superlativen hantieren, denn sie tun nicht nur weh, wenn sie einem auf den Fuß fallen – sie schaden auch der Reputation. „Die größte Reform des Strommarktes seit der Liberalisierung in den 90er Jahren“ nannte Wirtschaftsminister und SPD-Chef Gabriel das am 08.07.2016 verabschiedete Energiepaket. (Der Beobachter verkneift sich einen Gegen-Superlativ.) Kritiker zeihen die Regierung der Heuchelei, wenn sie paradoxerweise in der gleichen Woche das COP21-Ratifizierungs-Gesetz einbringt, sehen im neuen EEG gar einen Bruch der Pariser Klimaverträge, die Regierung samt „Klimakanzlerin“ werde international unglaubwürdig.
Ebenso widersprüchlich wirkte der gleichzeitige Hinweis, das weltweite Bevölkerungswachstum müsse stärker im Zusammenhang mit dem Weltklima betrachtet werden und „Erneuerbare Energien in Entwicklungsländern“ seien stärker auszubauen. SPD-Berichterstatterin Gabriela Heinrich seherisch: „Die internationalen Klimaziele werden wir nur erreichen, wenn wir das Wachstum der Weltbevölkerung mit einer vorausschauenden Energiepolitik begleiten.“ Denn Heinrich weiß: „Die Energieversorgung ist Voraussetzung für das Entstehen von Wertschöpfungsketten und Armutsreduzierung.“ Gilt aber nicht bei uns. Hier deckeln wir die Erneuerbaren auf Teufel komm raus; angeblich bleibt der Strom dann bezahlbar – falsch: nach dem neuen EEG wird er teurer; angeblich fehlen Leitungen – falsch: die sind in Wahrheit mit schmutzigem Kohlestrom verstopft, der sogar exportiert wird, an dessen Folgen aber mehr Menschen sterben als im Straßenverkehr.
Wie die Kaninchen auf die Schlange starren (vor allem) SPD-Politiker in Bund und Land auf politik(er)-verdrossene Kohlekumpel, und meinen, sie durch klimaschädlichen Goodwill doch an die Wahlurne zu locken. Welch krasse Fehleinschätzung! 73.000 verloren in den vergangenen Jahren in der Photovoltaik ihren Arbeitsplatz, allein 2015 waren es 40.000 (genauso viele, wie derzeit noch im fossilen Bereich arbeiten). Deutschland hat den Weltmarktführerstatus verspielt, jetzt ist der Wind dran. Die Erneuerbaren haben eben keine so schlagkräftige Lobby (inklusive Gewerkschaft) wie die Fossilen.
Laut EEG neu soll der Erneuerbaren-Anteil bis 2025 nur auf 40-45 Prozent steigen. Entsprechend wird die installierte Leistung ausgelegt, mit der Folge, dass die EE-Strommenge nicht erhöht werden kann. Die Bürgerenergie wird wegbrechen – dabei bräuchten wir mit vernünftiger Sektorenkopplung (Strom, Wärme und Verkehr) bald das Fünffache für Power-to-Gas, Carbon2Chem und Speicherung.
Der Beobachter kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass bei Gabriel aus dem ursprünglichen Pluralis modestiae fortschreitend ein Pluralis majestatis wird – mit einhergehendem Überblicksverlust. Die Rücksicht der SPD auf Union, Wirtschaft, vor allem fossile Energiewirtschaft hat jedenfalls die Umfragewerte bisher nicht aus dem Keller geholt – im Gegenteil (und in der Fraktion wächst der Unmut über den Parteichef). Auch die bei den Erneuerbaren vernichteten Jobs sind (besser: waren) schließlich einmal Wählerstimmen; kann jemand den SPD-Vorsitzenden, Wirtschafts- und Energieminister bitte mal (nachhaltig) daran erinnern? -Gerhard Hofmann-