Unerwartete Klimawandelfolgen

Atom-Basis Grönland: Eisschmelze wird gefährliche Relikte aus Kaltem Krieg freilegen

1967 wurde in Grönland ein militärischer Stützpunkt unter dem Eis aufgegeben. Eine internationale Studie zeigt nun: Durch den Klimawandel könnten gefährliche Abfallstoffe wieder an die Oberfläche gelangen, die eigentlich als für immer unter dem Eisschild begraben betrachtet wurden.

Der amerikanische Militärstützpunkt „Camp Century“ wurde 1959 im (vermeintlich) ewigen Eis Grönlands errichtet und diente im Kalten Krieg als Testgelände für die Stationierung von Atomraketen. Als der Standort aufgegeben wurde, ließ man die vorhandene Infrastruktur und die Abfälle in der Annahme zurück, dass sie vom Schnee bedeckt für immer begraben bleiben würden.

Doch im Zuge des Klimawandels hat sich die Arktis stärker als jede andere Weltregion erwärmt. Eine neue Studie der kanadischen York University, an der auch die Universität Zürich beteiligt ist, zeigt nun, dass die Eisschicht über „Camp Century“ bis Ende dieses Jahrhunderts abschmelzen könnte. Die Infrastruktur und die zurückgelassenen biologischen, chemischen und radioaktiven Abfälle könnten wieder in die Umwelt gelangen und die umliegenden Ökosysteme schädigen. In der neuen Studie inventarisierten die Forschenden die in „Camp Century“ zurückgelassenen Abfälle und führten Klimasimulationen durch. Das Team analysierte die Unterlagen der amerikanischen Armeeingenieure, um herauszufinden, wo und wie tief die Abfälle vergraben worden waren und wie sich die Eisdecke seit den 50er Jahren bewegt hat.

„Camp Century“, bis zu 35 Meter unter Eis, nimmt 55 Hektar ein. Die Forscher schätzen, dass sich dort 200.000 Liter Dieseltreibstoff befinden. Anhand der in der Arktis damals verwendeten Baustoffe vermuten sie, dass die Anlage mit Polychlorbiphenyl, einem gesundheitsschädlichen Giftstoff, belastet ist. Zudem sind wahrscheinlich 240.000 Liter Abwässer vorhanden, darunter auch schwach radioaktiv belastetes Kühlwasser des damals eingesetzten Kernreaktors.

Folgen für Umwelt und Politik

Ausgehend von gängigen Klimaprognosen berechneten die Wissenschaftler, dass diese Abfälle keineswegs für alle Zeiten im Eis eingeschlossen sind. „Die Klimaszenarien deuten nicht darauf hin, dass der Schneefall unendlich lange über die Schmelze dominieren wird. Vielmehr könnten wir es schon im Jahr 2090 mit einer Netto-Schmelze zu tun bekommen“, befürchtet Mitautor Horst Machguth vom Geographischen Institut der UZH. Dann sei es nur eine Frage der Zeit, bis auch die Schadstoffe zu tauen beginnen und ins marine Ökosystem gelangen.

„Vor zwei Generationen war es in üblich, Müll zu vergraben. Nun bewirkt der Klimawandel, dass sich die davon betroffenen Orte verändern“, erklärt Erstautor William Colgan, Klimatologie und Glaziologe an der York University in Toronto. „Das birgt eine ganz neue politische Herausforderung, über die wir uns Gedanken machen müssen.“

Die Studie plädiert jedoch nicht für eine sofortige Abfallbeseitigung. Noch ist der Müll zig Meter unter dem Eisschild verborgen. Zudem wäre die Reinigung teuer und technisch schwierig. Man müsse abwarten, bis die Eisschicht soweit geschmolzen ist, dass die Schadstoffe nur noch knapp unter der Oberfläche liegen. Erst dann sollte man ernsthaft über einen Abtransport nachdenken, so die Wissenschaftler.

Stadt unter dem Eis

Im April 1951 vereinbarten die USA und Dänemark, Grönland als dänisches Hoheitsgebiet gemeinsam gegen mögliche Angriffe der Sowjets zu verteidigen. Die Studien dazu begannen 1958. 1959 wurde im Rahmen des „Projects Iceworm“, einem geheimen Vorhaben der United States Army, 240 Kilometer landeinwärts von Thule ein System von mobilen, atomaren Raketenstartplätzen unter dem Grönländischen Eisschild errichtet. Ziel war es, das Staatsgebiet der Sowjetunion im Falle eines nuklearen Krieges schnell erreichen zu können. Offizieller Zweck war die Erprobung von Bauverfahren unter arktischen Bedingungen. Das Projekt sollte den Nachweis erbringen, dass der Bau Abschussrampen für Atomraketen unter der Eisoberfläche möglich sei. Außerdem wurden wissenschaftliche Studien zur Ermittlung von Klimadaten durchgeführt. Die Stromversorgung übernahm ein Atomreaktor. 21 Tunnel mit einer Gesamtlänge von drei Kilometern wurden gebaut, in dem etwa 200 Personen arbeitetem. Jedoch erwies sich das Vorhaben als nicht durchführbar, da das Inlandeis zu starken Bewegungen ausgesetzt war. Das Projekt wurde deshalb 1966 eingestellt. Damals entfernte man zwar den Kernreaktor, ließ aber die Infrastruktur und alle übrigen Abfälle zurück. Erst als das Dänische Außenpolitische Institut (DUPI) – heute Dansk Institut for Internationale Studier (DIIS) – 1997 eine Untersuchung veröffentlichte, wurde das Vorhaben bekannt.

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