…es sei denn, man will es so!
Kommentar von Matthias Diehl, Photovoltaik Büro
Immer wieder machen Meldungen die Runde, es gebe eine Überlastung des deutschen Stromnetzes, da temporär zu viel Wind oder Solarenergie eingespeist werde, die zeitgleich keinen Abnehmer finde. Diese Aussage hält dann auch als Begründung dafür her, dass neue Stromtrassen gebaut werden sollen, um überschüssige Windenergie aus dem Norden in den windärmeren Süden Deutschlands zu transportieren. Stutzig macht dabei, dass auch die konventionelle Stromwirtschaft, welche die Windenergie ja bekanntlich nicht besonders mag, diese Trassen für unverzichtbar hält und dass sie ausgerechnet von den Braunkohlerevieren, also den Standorten großer Braunkohlekraftwerke zu den Standorten der jetzt stillzulegenden oder bereits stillgelegten Kernkraftwerke führen. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.
[note Solarify veröffentlicht interessant erscheinende Gastbeiträge und Kommentare Dritter unabhängig davon, ob sich ihre Meinung oder der Informationsstand mit dem von Solarify decken.]
Klartext: Der Betreiber eines Braunkohlekraftwerkes hat ein massives Interesse an diesen Leitungen, da er bei starker Windstromeinspeisung im Moment vor der Wahl steht, sein Kraftwerk herunter zu fahren, was mehrere Stunden dauert oder den Strom billig irgendwohin zuschieben, wo sich noch ein Verbraucher findet. Da kommen neue Leitungen, die der Stromverbraucher bezahlt, und deren Kosten man auf die Windenergie schieben kann, gerade recht.
Doch wieso gibt es eigentlich überschüssigen Strom? Wir beklagen uns doch alle über zu hohe Strompreise, zu hohe Gaspreise, zu hohe Spritpreise? Strom kann jederzeit und sofort in andere Energieformen umgewandelt werden. Die Erzeugung von Wärme mit überschüssigem Strom ist die einfachste und billigste Methode, überschüssigen Strom loszuwerden. Auch Kälte ließe sich mit überschüssigem Wind- oder Solarstrom erzeugen und bei Bedarf für einige Zeit speichern.
Und warum passiert das nicht?
Ganz einfach: Weil beim Endkunden kein realistischer Strompreis ankommt, und weil durch unsinnige technische Richtlinien Energiepolitik betrieben wird. Hätte der Endverbraucher bei Starkwind die Möglichkeit, seinen Strom für ein paar Stunden statt für 25 ct/kWh für 10 ct einzukaufen, wären die Stromüberschüsse schneller verschwunden als man gucken könnte, und der Gesetzgeber könnte sich die Förderung von Energiespeichern getrost sparen. Das würde der Markt schon von selbst erledigen. Stattdessen sind wir inzwischen gezwungen, jedem Betreiber einer kleinen 5-kWp-PV-Anlage einen Rundsteuerempfänger (mittelalterliche Technik aus dem Museum) einzubauen, damit die Anlage im Bedarfsfall bei „zu viel Strom im Netz“ abgeregelt werden kann. Selbst die Netzbetreiber sagen, das sei Unsinn sei und in der Praxis bei so kleinen Anlagen nie angewandt werde. Das gewünschte Ziel wird aber erreicht: Solarstrom aus privaten Anlagen wird wieder sinnlos ein wenig teurer gemacht. Für das gleiche Geld könnte man in einem Privathaushalt auch einen Heizstab in den Warmwassertank stecken und die paar kWh „Überschussstrom“ verheizen.
Darum die Frage an die Politik: Wo bleibt der tagesvariable Strompreis, der nicht nur an der Strombörse gehandelt werden, sondern beim Endverbraucher genutzt werden kann, um Energie dann billiger zu beziehen, wenn sie „angeblich“ im Überschuss vorhanden ist? Ich würde mir sofort im Garten ein Loch ausgraben und einen riesigen Warmwasserspeicher einbauen, der die Energie sogar über den Winter bringen kann.
Hier kann man sehen, wie so etwas geht…
Und noch einmal: Zu viel Strom gibt es nicht!
Matthias Diehl, Dipl.-Ing., war nach seinem Elektrotechnikstudium, in dem er sich bereits auf die Entwicklung von Leistungselektronik für solare Energiesysteme spezialisierte hatte, bei Sun Power in der Entwicklung von Solarwechselrichtern tätig, dann bei inek Solar AG verantwortlich für die Projektierung und Ausführung netzgekoppelter PV-Anlagen. Seit April 2013 ist er vereidigter Sachverständiger für Photovoltaik und Photovoltaische Anlagentechnik, bestellt von der IHK Darmstadt, außerdem vom TÜV Rheinland zertifizierter Gutachter für Photovoltaik. Seit Mitte 2008 betreibt er zusammen mit Tina Ternus das Photovoltaikbuero. Dieser Kommentar erschien zuerst am