Die 1.5°-Grenze wissenschaftlich betrachtet
Mitte August (11.08.2016) trafen sich sich mehr als 60 Klimaexperten zur Planung eines wissenschaftlichen Sonderberichts des Weltklimarats IPCC zur 1,5°C-Grenze, der Ende 2018 verabschiedet werden soll – unter ihnen die Leiterin der MCC-Arbeitsgruppe Nachhaltiges Ressourcenmanagemenut und Globaler Wandel, Sabine Fuss und Jan Minx, Leiter der Forschungsgruppe „Angewandte Nachhaltigkeitsforschung” am Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change. Gemeinsam beschrieben sie in einem Gastkommentar in der Wirtschaftswoche einige der Herausforderungen für den Bericht. Darunter vor allem der schrumpfende noch verbleibende Raum in der Atmosphäre für zusätzliche CO2-Emissionen oder die Notwendigkeit, der Atmosphäre CO2 nachträglich technologisch wieder zu entziehen. Es geht ihnen vor allem darum, mit welchen kurzfristig möglichen Klimapolitikmaßnahmen die globalen Treibhausgasemissionen schnellstmöglich gesenkt werden können. Ohne solche Maßnahmen überschreiten wir nicht nur die 1,5°C-, sondern auch die 2°C-Grenze.
Beide sehen „viel Klärungsbedarf im Bereich der Klimafolgen: Inwiefern kann eine stärkere Begrenzung der globalen Mitteltemperatur die Klimarisiken weiter reduzieren? Die zentrale Frage des Sonderberichts wird aber sein, ob und unter welchen Umständen globaler Klimaschutz den Temperaturanstieg tatsächlich auf 1,5°C begrenzen kann“. Das erscheine im Augenblick schwer vorstellbar: Neuen wissenschaftlichen Studien zufolge sei das verbleibende CO2-Budget in der Atmosphäre so gut wie aufgebraucht. Bald müsse jede emittierte Tonne CO2 der Atmosphäre später wieder entzogen werden. Um die Erderwärmung auf 1,5°C zu begrenzen, brauche es viele dieser sogenannten negative Emissionen – zum Beispiel Aufforstung oder CO2-arme Bioenergie mit gekoppelter Kohlenstoffabscheidung und –speicherung (BECCS).
Das von der Heinrich-Böll-Stiftung geförderte Portal klima-der-gerechtigkeit.de zu BECSS: „Bei der Klimakonferenz in Paris wurde beschlossen, dass der Weltklimarat IPCC einen Bericht verfassen soll, der sich mit den Möglichkeiten und Auswirkungen befasst, wenn die globale Erwärmung auf maximal 1,5° C über vorindustriellem Niveau begrenzt wird. Eine große (und begründete) Sorge ist nun, dass das Tür und Tor für sog. Geoengineering-Technologien öffnet. Besonders brisant ist es, dass so gut wie alle Szenarien, die der IPCC bisher für 2° C (sowie die wenigen, die es zu 1,5° C gibt) implizit davon ausgehen, dass wir sog. negative Emissionen brauchen, also Geoengineering. Vor allem geht es dabei um eine Technologie, die sich Bioenergy with Carbon Capture and Storage (BECCS) nennt. Was BECCS ist, wie es funktionieren soll, warum das nicht aufgeht, welche Implikationen das hat und wo es schon welche Forschung und Anwendungen gibt, haben wir in einem gemeinsamen Bericht mit Biofuelwatch zusammengestellt: „Last-ditch climate option or wishful thinking?“ (Kurzfassung dieses längeren Berichts.)“
Die Autoren kennen diese Kontroverse sicher, denn sie stellen fest, Klimaschutz, der stark auf negative Emissionen setze, werde von vielen als nicht nachhaltig empfunden – zum Beispiel weil große Landflächen etwa für BECCS benötigt würden. Dennoch – so die Autoren: „Negative Emissionen sind nicht beliebt, aber die Notwendigkeit steigt mit steigenden Ambitionen und längerer Zeit des Nicht-Handelns. Der Sonderbericht muss auch neuen Erkenntnissen in diesem Bereich Rechnung tragen. Negative Emissionen können auf sehr unterschiedlichen Wegen erreicht werden und müssen als Optionen und im Portfolio mit all ihren Risiken und Chancen besser verstanden werden.“
Als große offene Frage stehe die Kohleverstromung im Raum: „Wie kann die Kohlerenaissance beendet und der globale Kohleausstieg eingeleitet werden? Welche Politikinstrumente waren historisch erfolgreich? Welche Verteilungskonflikte stehen dem entgegen? Auf diese Fragen muss die Wissenschaft Antworten finden.“
Ein internationales Wissenschaftlerteam hat möglicherweise einen gangbaren Weg gefunden, um der Atmosphäre dauerhaft anthropogene Kohlendioxid-Emissionen zu entnehmen – sie wandeln sie in einem Versuch in Island in Stein um. Ihre am 09.06.2016 in Science veröffentlichte Studie (deutsch auf: scinexx.de) zeigt, dass CO2 relativ schnell aus der Atmosphäre entfernt werden kann, indem es in vulkanischen Unterboden injiziert wird. Das CO2 reagiert mit dem umgebenden Gestein zu umweltverträglichen Mineralien. Nachteil: Gewaltiger Wasserverbrauch. (Siehe: solarify.eu/doch-co2-speicherung-moeglich)
Dr. Sabine Fuss ist Leiterin der Arbeitsgruppe Ressourcen und Internationaler Handel am MCC Berlin. Sie nimmt als eine von sechs deutschen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern am Expertenmeeting zum 1.5°C Sonderbericht teil. Sie ist auch Koordinatorin für negative Emissionen im Global Carbon Project. Prof. Jan Minx hält den Lehrstuhl Science-Policy and Sustainable Development an der Hertie School of Governance und leitet die Forschungsgruppe „Angewandte Nachhaltigkeitsforschung“ am MCC Berlin.
Quellen und vollständiger Gastkommentar: