BMU mit Integriertem Umweltprogramm 2030: Hendricks will mehr Kompetenzen für Umweltpolitik – auch in anderen Ressorts verankern
Umweltministerin Hendricks will ein Öko-Preisschild einführen, fordert den Abbau umweltschädlicher Subventionen und will die Mitspracherechte ihres Ministeriums in der Bundesregierung stärken. In ihrem am 08.09.2016 in Berlin vorgestellten, knapp 130 Seiten starken Integrierten Umweltprogramm 2030 will sie außerdem ein Initiativrecht für andere Geschäftsbereiche einführen, wenn es um „Angelegenheiten von umweltpolitischer Bedeutung“ geht. Hendricks beabsichtigt nichts weniger als eine „Konsum- und Ressourcenwende“ einzuleiten. Der SRU und die Grünen begrüßten das Umweltprogramm. CDU-Kritik: „Anmaßend!“
Im Vorwort schreibt die Ministerin, die Vorschläge gingen „bewusst über den Zuständigkeit meines Hauses hinaus“, denn der ökologische Wandel lasse sich nur „in einer breiten Allianz von Wirtschaft, Politik und Gesellschaft“ gestalten. Wirtschaftliche und soziale Ziele müssten künftig „im Rahmen ökologischer Grenzen“ erreicht werden. So soll das „zweite Preisschild“ die Umwelt-Auswirkungen von Produkten zeigen. Käufer sollen so etwa darüber informiert werden, ob in Handys oder Tablets seltene Erze wie Coltan verwendet werden – diese sollen dann ein Anti-Öko-Label bekommen. „Wir müssen es Verbrauchern erleichtern, eine nachhaltige Kaufentscheidung zu treffen,“ sagte Hendricks bei der Vorstellung ihres „Integrierten Umweltprogramms 2030“ in Berlin. Coltan wird meist unter sehr schlechten Arbeits- und Umweltbedingungen in Afrika (Kongo) gefördert, Rebellen finanzieren mit dem Abbau ihre Kriege. Auch für Lebensmittel, bei deren Herstellung die Umwelt massiv geschädigt wurde, könnte Hendricks sich ein solches Label vorstellen. Darunter würde zum Beispiel Rindfleisch aus Massentierhaltung fallen, weil bei der Produktion große Mengen an Treibhausgasen freigesetzt werden. Das sei aber „nicht vordringlich“, sagte die Ministerin.
Klimawandel, Ressourcen-Übernutzung und rapider Schwund der Artenvielfalt sind der Hintergrund dafür, dass sich Hendricks für eine Stärkung der Umweltpolitik ausgesprochen hat: „Unser Planet stößt an die Grenzen seiner Belastbarkeit. Ein einfaches ‚Weiter so‘ kann es nicht geben. Es ist Zeit für eine neue, gestärkte Umweltpolitik, die sich der globalen Herausforderungen systematisch annimmt und einen grundlegenden ökologischen Wandel einleitet“. Das „Integrierte Umweltprogramm 2030“ des BMUB formuliert Leitziele und Vorschläge, wie Schlüsselbereiche von Politik, Wirtschaft und Gesellschaft umweltgerecht und nachhaltig gestaltet werden können.
Hendricks sagte, Deutschland trage Mitverantwortung dafür, dass bereits vier der insgesamt neun planetaren Belastbarkeitsgrenzen überschritten seien, etwa beim Klimawandel, bei der Belastung durch Phosphor und Stickstoff und beim Verlust tropischer Regenwälder. „Unser Lebensstil, unser Konsum, unsere global vernetzte Volkswirtschaft nehmen die natürlichen Ressourcen des Planeten in einem Ausmaß in Anspruch, das Lebens- und Entwicklungschancen in anderen Teilen der Welt gefährdet“, sagte Hendricks. „Würden alle Menschen auf der Welt so leben wie wir, dann bräuchten wir drei Planeten.“ Armut, Hunger, Arbeitslosigkeit und kriegerische Konflikte seien in vielen Ländern Folgen einer nicht-nachhaltigen Entwicklung.
Anders als vor 30 Jahren könne es in der Umweltpolitik nicht mehr genügen, „die Kollateralschäden eines aus dem Ruder gelaufenen Wohlstandsmodells zu beheben. Heute geht es darum, zu einer Wirtschaftsweise zu kommen, die die Grenzen unserer natürlichen Lebensgrundlagen respektiert“, so Hendricks. Dazu sieht das Umweltprogramm unter anderem eine Verlängerung der Nutzungsdauer von elektrischen Geräten vor. Denkbar seien hier etwa Anforderungen für eine Mindest-Lebensdauer sowie Vorgaben für Reperaturfähigkeit und Aufrüstbarkeit, sagte Hendricks. Die ökologische Steuerreform soll außerdem weiterentwickelt werden. Denn der Anteil umweltbezogener Steuern an den Gesamteinnahmen aus Steuern und Sozialbeiträgen sei ständig gesunken. Zudem werden in dem Programm der Abbau umweltschädlicher Subventionen und eine umweltgerechte Anlage öffentlicher Gelder gefordert. Im Straßenverkehr will Hendricks die [[CO2]]-Grenzwerte für Autos verschärfen – und bekräftigte eine Forderung, die sie aus ihrem Entwurf für den Klimaschutzplan 2050 streichen musste: „Im Jahr 2030 neu verkaufte Pkw sollen emissionsfrei betrieben werden können.“
Hauptangriffspunkt Landwirtschaft
Hendricks will mehr Einfluss in der Agrarpolitik für das Umweltministerium. Dafür will sie die Geschäftsordnung der Bundesregierung ändern. Im Umweltprogramm 2030 spielt die Landwirtschaft eine Hauptrolle.Vor allem mit dem Verkehrs- und dem Landwirtschaftsministerium ist Hendricks in den vergangenen Jahren immer wieder aneinandergeraten – etwa beim Thema Luftqualität oder dem Unkrautgift Glyphosat.
In dem Umweltprogramm, mit dem sie einem Auftrag aus dem schwarz-roten Koalitionsvertrag nachkomme, wiederholt Hendricks ihre bereits Ende August veröffentlichte Initiative, den Stallbau für große Tierhaltungsanalgen unter die Kontrolle der Gemeinden zu stellen. Des Weiteren fordert sie eine Abgabe für Pflanzenschutzmittel, verweist auf eine Stickstoffstrategie, die das BMUB gerade vorbereitet und wiederholt ihre Forderung nach einer Umschichtung der EU-Agrarzahlungen.
Hendricks betonte in der Bundespressekonferenz, dass sie eine Veränderung der landwirtschaftlichen Praxis als unverrückbar ansehe. „Wir müssen eine gesellschaftspolitischer Debatte dazu führen, welche Art von Landwirtschaft wir in Deutschland haben wollen“, sagte sie. Aus ihrer Sicht diene die derzeit „dominante Form der Landwirtschaft“, weder einer intakten Umwelt noch dem Tierwohl noch dem Auskommen der Landwirte selbst. Deshalb habe sie so keine Zukunft, sagte Hendricks und rief die Landwirte auf, ihre Produktionsweise zu überdenken. „Auf die Akzeptanz der Landwirtschaft in der Bevölkerung mehr Rücksicht zu nehmen, ist im Interesse der Landwirtschaft“, sagte sie.