Erstmals quantitative Aussagen über Häufigkeit, Stärke und räumliche Verteilung von künftigen Extremereignissen im Ozean möglich
Marine Ökosysteme produzieren etwa die Hälfte der jährlichen globalen Biomasse und liefern lebenswichtige Proteine für mehr als eine Milliarde Menschen. Neue Studien zeigen, dass enorme Warmwasserblasen im Ozean deutliche Spuren an Ökosystemen hinterlassen haben. Wie sind diese Veränderungen zu deuten? Thomas Frölicher, ETH Zürich, mit einer Erklärung.
Hitzewellen kommen nicht nur auf dem Land, sondern auch im Meerwasser vor. Der Hitzesommer 2003 ist noch gut in Erinnerung: Wälder brannten, Flüsse trockneten aus, und mehrere zehntausend Menschen in Europa starben.¹ Auch die Meereswelt und insbesondere deren Bewohner leiden unter enormer Hitze. Zwei außergewöhnliche Hitzewellen im Ozean während der vergangenen Jahre haben die Wissenschaftler aufhorchen lassen. Deren Folgen sind langfristig auch für den Menschen spürbar.
Hitzewellen im Nordostpazifik…
Eine ungewöhnlich lang andauernde Warmwasserblase – mit dem Spitznamen „The Blob“ – hatte sich vom Winter 2013/2014 bis Ende 2015 auf der Wasseroberfläche des Nordpazifiks ausgebreitet². Die Warmwasserblase hatte zeitweise bis zu 1.600 km Durchmesser und hatte Wassertemperaturen von mehr als drei Grad Celsius über dem langjährigen Durchschnitt. Aufgrund der geringeren Dichte des warmen Oberflächenwassers durchmischte sich dieses weniger mit kaltem und nährstoffreichem Tiefenwasser, vor allem entlang der Westküste Nordamerikas. Das hatte weitreichende Folgen für die Meeresbewohner und Ökosysteme: Die reduzierte Nährstoffzufuhr schwächte das Wachstum von Phytoplankton; die Wärme und der Nahrungsmangel führten dazu, dass einige Zooplankton- und Fischarten in kühlere Regionen abwanderten. Hingegen hatten Forscher im Nordpazifik länger als üblich Zwerggrindwale beobachtet. Diese tropische Walart ist normalerweise 2500 Kilometer weiter südlich zu Hause.
…und an der Westküste Australiens
Eine stärkere, aber kürzere Hitzewelle traf die australische Westküste um die Jahreswende 2010/2011. Die Meerestemperaturen lagen bis zu sechs Grad Celsius über den Normalwerten für diese Jahreszeit. Der Meeresboden an der Küste Westaustraliens ist bekannt für riesige Ansammlungen von Braunalgen. Diese marinen „Algenwälder“ haben ähnliche Funktionen wie terrestrische Wälder: Sie bieten vielen Tierarten Lebensraum und Nahrungsgrundlage, vor allem vielen Fischen. Australische Forscher haben gezeigt, dass die meisten Bestände dieser Algenwälder in kürzester Zeit während dieser Hitzewelle verschwunden sind³. Insgesamt ging eine Fläche von 1.000 km² Algenwald verloren – zweimal die Fläche des Bodensees. Bis heute haben sich die Algenbestände nicht erholt. Anstelle der Algenwälder hat sich ein neues Ökosystem mit tropischen Fischen und Seegräsern gebildet.
Risiken für marine Ökosysteme?
Wir wissen seit einiger Zeit, dass auf dem Land Extremereignisse wie Hitzewellen die Struktur, die Biodiversität und die biogeochemische Funktion von biologischen Systemen stark beeinflussen. Es ist auch bekannt, dass Hitzewellen viele biologische Systeme einschließlich des Menschen stärker beeinflussen als langsame Veränderungen in der Durchschnittstemperatur. Dies hat damit zu tun, dass solche Extremereignisse die Organismen und Ökosysteme an die Grenzen ihrer Belastbarkeit und darüber hinaus drängen, so dass sie Schaden nehmen.
Die zwei Extremereignisse im Nordpazifik und an der Westküste Australiens haben uns erstmals im Detail vor Augen geführt, dass Hitzewellen auch im Ozean zu einer Reihe von unabsehbaren ökologischen und sozioökonomischen Folgen führen können. Zum Beispiel haben sie gezeigt, dass viele Fische wenn möglich in kältere nördlichere Gefilde abziehen. Ein Ausweichen in kühlere Meerestiefen ist für viele Fische keine Option, da in tieferen Bereichen das Sonnenlicht, Sauerstoff und pflanzliche Nahrung fehlt. Dies führt letztendlich auch zu Einbußen in der Fischerei, aber auch in der Tourismusbranche.
Blick in die Zukunft
Wenn sich die Weltmeere weiter erwärmen, werden auch marine Hitzewellen immer wahrscheinlicher. Es ist also anzunehmen, dass es künftig nicht nur auf dem Land zu vermehrten und stärkeren Hitzewellen kommt, sondern auch im Ozean. Beobachtungen und Modellsimulation zeigen zudem, dass auch andere Faktoren wie Ozeanversauerung und Sauerstoffverlust die marinen Lebewesen und Ökosysteme unter Druck setzen (siehe dazu diesen Beitrag im Klimablog).
Bis vor kurzem waren Klimamodelle nicht in der Lage, die relevanten physikalischen und biogeochemischen Prozesse richtig abzubilden, um Extremereignisse im Ozean zu simulieren und zukünftige Änderungen vorauszusagen. Die Unsicherheiten in Zukunftsprognosen, vor allem auf regionaler Skala, waren einfach zu groß4. Neue Modellsimulationen, die den globalen Kohlenstoff- und Sauerstoffkreislauf mit hochauflösenden physikalischen Prozessen verknüpfen, erlauben uns nun aber erstmals, quantitative Aussagen über die Häufigkeit, Stärke und räumliche Verteilung von zukünftigen Extremereignissen im Ozean zu machen. Und genau dies steht in meinem wissenschaftlichen Fokus. Um jedoch die Auswirkungen solcher Extremereignisse auf einzelne Arten oder ganze Ökosysteme und deren sozioökonomische Dienste zu verstehen, braucht es eine verstärkte interdisziplinäre Zusammenarbeit. Die Forschung zum Verständnis solcher Ereignisse steht erst am Anfang.
Weiterführende Informationen und Quelle:
1 Gemäß folgender Studie hat es in Europa mehr als 70.000 zusätzliche Tote gegeben: http://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S1631069107003770
2 Di Lorenzo, E., N. Mantua (2016): Multi-year persistence of the 2014/2015 North Pacific marine heatwave. Nature Climate Change, doi:10.1038/nclimate3082
3 Wernberg, T., et al. (2016) Climate-driven regime shift of a temperate marine ecosystem. Science, 353, 169-172.
4 Frölicher, T. L., et al. (2016) Sources of uncertainties in 21st century projections of potential ocean ecosystem stressors. Global Biogeochemical Cycles, 30, doi:10.1002/2015GB005338