Offen, transparent, demokratisch…
Rucht: „Noch nie zuvor hat in Deutschland ein derart ehrgeiziger, breiter, komplexer und durchstrukturierter Beteiligungsprozess im Vorfeld eines Regierungsprogramms auf Bundesebene stattgefunden. Insofern hatten etliche Komponenten dieses Verfahrens einen innovativen und experimentellen Charakter“. Das Umweltministerium als federführende und politisch verantwortliche Instanz für den Beteiligungsprozess habe die vagen Vorgaben des Koalitionsvertrags und der nachfolgenden, etwas konkreteren Kabinettsentscheidung von 2014 mutig und extensiv ausgelegt. „Dabei hat es große Anstrengungen unternommen, um diesen Prozess offen, inklusiv, demokratisch und transparent zu gestalten“, so Rucht.
Ergebnis des aufwändigen Prozesses war ein Papier, das konkrete Schritte und Maßnahmen benannte. Es wurde dem Umweltministerium im März 2016 offiziell übergeben und diente als Basis für einen 62 Seiten starken Hausentwurf, veröffentlicht am 20.04.2016. Dieser wurde anschließend auf seinen Weg in die Abstimmung mit dem Bundeskanzleramt und anderen Ministerien geschickt. Totz: „Das war der Anfang vom Ende. In den weiteren beteiligten Fachressorts und dem Kanzleramt magerte das ambitionierte Papier rapide ab und verlor seinen eigentlichen Daseinszweck.“
Im Gutachten heißt es dazu: „Mit der Präsentation des Maßnahmenkatalogs hat das politische Ringen um die Festlegung von Eckwerten, Zwischenzielen und handlungsfeldspezifischen Maßnahmen begonnen. Im Zentrum dieses Ringens stehen die beteiligten Fachressorts auf Bundesebene, das Bundeskanzleramt und die Spitzen der Regierungskoalition. Auf diese Beteiligten zielen die Interventionen, Lobbying-Aktivitäten und öffentlichen Stellungsnahmen der am Klimaschutz interessierten und von Maßnahmen zum Klimaschutz betroffenen Stakeholder.“
Schon eine erste Abstimmung mit dem ebenfalls SPD-geführten Wirtschaftsministerium im Juni habe dann zu einem neuen, schwächeren Entwurf geführt. Am 06.09.2016 sei nach weiteren Interventionen des Wirtschaftsministeriums sowie des Bundeskanzleramts Entwurf Nummer drei gefolgt, „eine noch schwächere Fassung. Inzwischen sind konkrete Ziele und Wegmarken, zum Beispiel zum Kohleausstieg, zum Fleischkonsum und zur Mobilität, aus dem Papier verschwunden“ (Totz).
Die Stakeholder
In seinem Impulspapier hatte das Umweltministerium fünf große Wirtschaftsbereiche benannt, die den [[CO2]]-Ausstoß in Deutschland befeuern und entsprechendes Einsparpotenzial aufweisen: die Energiewirtschaft, den Sektor Industrie & Gewerbe/Handel/Dienstleistungen, Verkehr, Landwirtschaft und Gebäudemanagement (Heizung, Warmwasser).
Es überrasche nicht, dass aus diesen Bereichen die größten Hindernisse für den Prozess gekommen seien, laut Gutachten „allen voran die Vertreter des einflussreichen BDI und des DIHK, die kompromisslos an den schon zuvor feststehenden Standpunkten ihrer Organisation festhielten – Standpunkten, die trotz verbaler Bekenntnisse zum Klimaschutz praktisch auf eine weitgehende Blockade von durchgreifenden Maßnahmen hinausliefen“.
Auch der CDU-Wirtschaftsrat sei nicht zimperlich, wenn es um Klimaschutzmaßnahmen gehe. Er habe im Juni 2016 eine dreiseitige Stellungnahme zum – wohlgemerkt fast bis zur Unkenntlichkeit entschärften – Papier veröffentlicht, in der er für den Fall einer Umsetzung „die schleichende Deindustrialisierung des Standortes Deutschland“ heraufbeschwöre.