Hinkley Point C als Militärprojekt
Gastbeitrag von Eva Stegen
Energie- und Wirtschaftsexperten fassen sich an den Kopf, weil die britische Regierung – bar jeglicher Vernunft – Milliarden für das teuerste Kraftwerk der Welt in den Sand setzt. Ein Scheitern ist mehr als wahrscheinlich, alle B-Pläne werden vorsätzlich blockiert und die Insel sehenden Auges in eine Versorgungslücke manövriert. Was soll das? Nun liegt endlich die Erklärung auf dem Tisch: eine im Herbst veröffentlichte Studie der Uni Sussex zeigt anhand militärpolitischer Dokumente minutiös auf, wie Stromkunden und Steuerzahlern hinterrücks das Geld für Militärsubventionen aus der Tasche gezogen werden soll. Es geht darum, die Kosten für die Runderneuerung der atomaren Abschreckung zu „maskieren“.
Die Veröffentlichung dieser sehr ausführlichen Recherche-Ergebnisse bedeutet nicht, dass sich Solarify sämtliche Schlussfolgerungen zu eigen macht.
„Ohne AKW keine Atombombe. Und solange es Atombomben gibt, besteht die Gefahr von Atomkriegen. Ein Atomkrieg wäre der letzte Krieg in der Geschichte der Menschheit. Denn danach gäbe es keine Menschen mehr, die noch Kriege führen könnten.“ (Franz Alt in einer Rede in Fukushima)
Der Daily Telegraph verfolgt die Hinkley-Zeitschiene nunmehr seit 2005. Inzwischen scheint mit Premierministerin Theresa May das vierte Staatsoberhaupt in Folge auf wundersame Weise den Verstand verloren zu haben; was mit immer neuen Experten-Warnungen aus dem gesamten politischen Spektrum belegt wird – von konservativen Atom-Befürwortern über Finanzexperten, Sicherheitsexperten, Politik-Beratern, Gewerkschaftern bis zu Nuklearexperten. Diese Warnungen schießen die Entscheidungsträger zum Entsetzen aller regelmäßig in den Wind. Die Experten aus dem Grün-Alternativen Milieu sind bereits hinter der Schmerzgrenze angekommen:„ … es gibt mir jedes Mal einen Moment der dämlichen Freude, wenn Sie der Zeitschiene eine weitere Kerbe hinzufügen.“ amüsierte sich Greenpeace Chefwissenschaftler Douglas Parr, als der Telegraph der unendlichen Geschichte die achtunddreißigste Kerbe hinzufügte: im Juli 2016, anlässlich einer der zahllosen „Hinkley-Entscheidung-verschoben“-Schlagzeilen.
Hinkley induziert Dammbruch: eingemottete AKW-Pläne werden ausgegraben
Eine besonders aufsehenerregende Kerbe wurde am 08.10.2014 geschlagen. Anstatt in Einklang mit dem EU-Wettbewerbsrecht den Genickbruch für den AKW-Neubauplan zu besiegeln, genehmigte die bereits abgewählte EU-Kommission die hoch umstrittenen Nuklear-Staatsbeihilfen – mit denkbar knapper Mehrheit und quasi in einem Arbeitsgang mit dem Verlassen der Büros.
Ohne dieses Beihilfe-Konstrukt, das maßgeblich vom damaligen Energie-Kommissar Günter Oettinger mit eingefädelt wurde, hätte selbst der Dümmste begriffen, dass Atomkraft wirtschaftlich nicht darzustellen ist. Das betriebswirtschaftliche Selbstmordkommando sollte mit dem Brüsseler OK zur Plünderung der britischen Volkswirtschaft zunächst unterm Radar gehalten werden: Mit steuerfinanzierter Festvergütung von 92,5 £ pro MWh, also rund dem Dreifachen des Preises an den Europäischen Börsen, wollte man über 35 Jahre mit sündteurem, abnahmegarantiertem Strom das Atomprojekt refinanzieren. Doch trotz überbordender Subventionszusagen klemmt die Baufinanzierung immer noch an allen Ecken und Enden.
Das OK der EU-Kommission für den Hinkley-Deal führte in Rest-Europa zu dem von Umweltschützern vorhergesagten Dammbruch, denn damit wurden auch eingemottete AKW-Neubaupläne andernorts wieder ausgegraben. Die Warner wurden schlicht nicht gehört. Wer 2014 etwas Deutschsprachiges zu Hinkley lesen wollte, landete meist in der österreichischen Presse. Die atomkritische Haltung dort gehört dank des Referendums über das AKW Zwentendorf seit 1978 zur Staatsraison.
Schon 2008 war das Debakel programmiert: ausgerechnet der Europäische Druckwasser-Reaktor EPR sollte es in Hinkley sein, das „Flaggschiff“ des französischen Reaktorbauers AREVA, dessen Schiffbruch man in Echtzeit auf vier Baustellen parallel nachverfolgen kann. Die Prognosen auf der Zeitschiene taugten schon bald als echte Lachnummern: zusätzlich zur Standard-Drohung „Ohne AKW gehen die Lichter aus“ stellte EdF-UK-Chef de Rivaz 2007 noch den Weihnachtstruthahn mit Hinkley-Power für 2017 in Aussicht. Eine tollkühne Prognose, wenn man weiß, dass dieser Reaktortyp trotz verzweifelter Versuche noch nie fertig gestellt wurde, dass die vier Fiasko-Baustellen Kosten-Explosions-Salven produzieren (ursprünglich 3,3 Mrd. € pro Block, in Finnland und Frankreich bei Redaktionsschluss 10,5 Mrd. €) und dass die Zeitpläne mit verlässlicher Regelmäßigkeit über den Haufen geworfen werden (Chaos-Meldungen sickern ebenfalls über die beiden Blöcke in Taishan, China, durch). Die irgendwann für den Doppelblock in Hinkley angedachten sieben Jahre Bauzeit sind utopisch – in Finnland wird aktuell über einen Netzanschluss nach 14 Jahren Bauzeit nachgedacht. Auch das „Inbetriebnahme-Datum Nie“ wird von Experten diskutiert – die EPR-Reihe ist bereits eingestellt. Statt Weihnachtstruthahn wird’s 2017 im Vereinigten Königreich allenfalls gallischen Hahn vom Holzkohlegrill geben. Und womöglich flackern in Rest-Europa über Ökostrom-betriebene TV-Bildschirme Charity-Videos, in denen internationale Musikstars in weihnachtlicher Hilfsbereitschaft Kerzen für die dunklen britischen Inseln sammeln.
Die letzte britische Regierung unter David Cameron ließ kein Gedankenspiel aus, um ihr teures Atomspielzeug irgendwie finanziert zu bekommen. Der China-begeisterte Ex-Finanzminister Osborne versuchte alles, um an das Geld des himmlischen Friedens zu kommen. Der Staatskonzern China General Nuclear Power Company, CGN, soll einen Teil der Finanzierung stemmen. Als Dankeschön dürfen sie nicht nur auf der britisch-französischen EPR-Baustelle Erfahrungen und Anderes sammeln. Über weitere Atombaustellen dürfen sich die Chinesen auf der Insel einen Ruf als internationaler Reaktor-Bauer erarbeiten und von dort aus den Weltmarkt aufrollen – gerade in den Entwicklungsländern gibt’s ja noch mächtig was zu entwickeln. In den britisch-konservativen Regierungskreisen vergaß man unterdessen die eigenen Stromlückendrohungen, und beschnitt im Juli 2015 radikal die Erneuerbaren Energien – sie werden offenbar nicht als Plan B für die Versorgungssicherheit wahrgenommen, sondern vielmehr als lästige Konkurrenz, die natürlich schneller und billiger ans Netz kommt, als ein AKW-Neubau. Dass Hinkley den Staatskonzern EdF in die Insolvenz treiben wird, hatte auch sein Finanzchef begriffen, der im März 2016 entnervt das Handtuch warf. „Wer würde 60% bis 70 % seines Vermögens auf eine Technik wetten, von der wir noch nicht wissen, ob sie funktioniert, obwohl man seit zehn Jahren versucht, sie zu konstruieren?“ so Thomas Piquemal vor seinem Wechsel zur Deutschen Bank.
Folgt: Zwei zivil-militärische Synergie-Felder: Waffen und nuklear-Antriebe für U-Boote