Zwei zivil-militärische Synergie-Felder: Waffen und nuklear-Antriebe für U-Boote
Über den Brüsseler Flurfunk war es schon vor Jahren vernehmbar: Hinkley ist ein Militärprojekt. Vorschnelle Denker öffnen sofort die passende Schublade im Hinterkopf und assoziieren: Im AKW wird Plutonium erbrütet, das in Sellafield für den Waffenbau abgetrennt wird. Nächste Schublade: In Sellafield herrscht bereits Plutoniumschwemme, ergo … Und hier öffnet sich die Sackgasse: Wer als einzige zivil-militärische Synergie das Plutonium sieht, entlässt sein Gehirn mit dem Zauberwort „Verschwörungstheorie“ in die Denk-Auszeit. Dankenswerter Weise haben die Briten Parlamentsdokumente veröffentlicht, in denen alle Institutionen, die sowohl von der zivilen als auch von der militärischen Seite der Nuklear-Medaille profitieren, diese Synergien teils in Tabellenform auflisten. Neben Reaktorbau-Vertretern von Areva und Westinghouse, kamen die Kaderschmieden für Atomingenieure, Rüstungskonzerne und Vertreter für nukleare Antriebssysteme zu Wort.
Die Ausbildungsstätte National Skills Academy Nuclear ging die Frage systematisch an: “Die Frage der Überschneidung zwischen Zivilem und Militärischen kann in zwei Bereiche unterteilt werden: Waffen und Atom-U-Boot-Antrieb“ – ein ganz wichtiger Punkt, denn die Glaubwürdigkeit der nuklearen Abschreckung, auf welche die Briten allergrößten Wert legen, und die sie sich – nach der Parlamentsabstimmung vom 18.07.2016 für die Runderneuerung der U-Boot-Flotte – mindestens £ 31 Mrd. kosten lassen, steht und fällt mit dem Atomantrieb der U-Boote. Damit patrouillieren sie tagtäglich durch die Weltmeere, unerkannt und mit enormer Reichweite – dank des Nuklearantriebs ohne Tank-Stopps für Treibstoff bzw. Sauerstoff. Die Atomsprengköpfe der 16 Trident-Raketen, die sie transportieren, stehen auf einem anderen Blatt.
Modularer Ansatz – AKW untergetaucht oder an Land
Erhellend auch die Aussage des Areva-Konkurrenten Westinghouse, der sich um den Standort Hinkley Point bemühte. Das Reaktordesign sei modular aufgebaut, und so seien die Module, die BAE-Systems in Atom-U-Boote montiert, vom selben technologischen Ansatz, wie die Module, die sein Unternehmen im Kernkraftwerksbau einsetzt. „So gibt es reichlich Spielraum für gegenseitige Befruchtung für beide Seiten.“ sagte er und leitete zu einem weiteren Knackpunkt über, dem Fachkräftemangel in allen Nuklear-Bereichen: „Hier ist Potential, dass Leute, die in einem der Bereiche eintreten, im Laufe ihrer Karriere in den anderen Bereich überwechseln können. Ich denke, diese Vielfalt stellt ein Plus an Attraktivität dar, um überhaupt Menschen in den Nuklearbereich zu bringen.“
Der Vertreter von BAE-Systems, dem zweitgröße Rüstungskonzern der Welt, der gleichfalls am zivilen Atom-Geschäft verdient, erklärte, wie schwierig es insbesondere nach Reaktorkatastrophen sei, junge Leute für ein Nuklearingenieurs-Studium zu ködern: „Ich erinnere mich, die Atomingenieure waren die Aussätzigen am College.“
Die Ausführungen des Dalton Nuclear Institute an der Uni Manchester, nach eigenen Angaben weltweit führende Forschungs- und Ausbildungsstätte in der Kernenergie, sollten dann auch den letzten Anhänger von Verschwörungstheorien umdenken lassen: „In der Vergangenheit wurde das militärische Programm weitgehend isoliert vom zivilen Programm entwickelt – aus Rücksicht auf Geheim-Informationen. Indes, es gibt die Möglichkeit für eine Zusammenarbeit von zivilem und militärischem Programm, bei der Entwicklung eines Kompetenz-Pools und in der Forschungsförderung, bei dem nur die wirklich geheimen Aspekte des Militärprogramms separat gehalten werden. Das Vereinigte Königreich ist derzeit nicht in der Lage, es hat weder die finanziellen noch die personellen Ressourcen, um beide Programme isoliert zu entwickeln.“
Seine Beispiele für die Durchlässigkeit zwischen zivilem und militärischem Nuklearbereich werden detailliert auch von Atom-U-Boot-Konstrukteur Rolls Royce genannt: Maschinenbauer, Anlagen-Elektroniker, Spezialisten für Radiochemie, Radiophysik, Werkstoffkunde, Thermodynamik, Strömungstechnik, Thermohydraulik, Datenauswertung, Reaktorsicherheit. Doch Westinghouse legt den entlarvenden Schlusssatz nach: “Diese Verbindung muss allerdings mit Vorsicht behandelt werden, um die Wahrnehmung zu vermeiden, dass das zivile und das militärische Atomprogramm ein und dasselbe sind.“