Atom teuerste Energieform
Auch militärische Aspekte

„Wenn man alle Kosten einbezieht, sind Atomkraftwerke teurer als andere Technologien“: acht Fragen an Pao-Yu Oei, Gastwissenschaftler an der TU Berlin im Fachgebiet Wirtschafts- und Infrastrukturpolitik

Dr. Pao-Yu Oei lehrt und forscht im Fachgebiet  Wirtschafts- und Infrastrukturpolitik (WIP) des Bereichs Volkswirtschaftslehre und Wirtschaftsrecht der Technischen Universität Berlin. Seine Themen: Braunkohle, Kohlebergbau und Stromerzeugung in Deutschland, Carbon Capture und Storage, europäischer Elektrizitätsmarkt, grenzüberschreitende Wasserverteilung (Flussgebietsmanagement), Reduktion der Kohleverstromung in Deutschland (parallel Forschung am DIW Berlin), Klimapolitik in Deutschland und Europa. Erich Wittenberg fragte ihn.

  1. Herr Oei, Deutschland hat den Ausstieg aus der Atomenergie beschlossen. Wie sehen die Pläne in den anderen europäischen Ländern bezüglich der Atomkraft aus?
    Die Länder haben sehr verschiedene Pläne, was die Atomkraft angeht. Es gibt Länder, wie Deutschland, Italien, Österreich und seit neuestem auch die Schweiz,  die sich für einen Atomausstieg entschlossen haben. Andere Länder, zum Beispiel Großbritannien, haben sich entschieden, in den nächsten Jahren weitere Neubauprojekte durchzuführen.
  2. Wie viele neue Atomkraftwerke sollen in den nächsten Jahrzehnten in Europa gebaut werden?
    Die Europäische Kommission geht in ihrem aktuellen Referenzszenario davon aus, dass über 100 Gigawatt in den nächsten Jahren hinzukommen werden – 50 Gigawatt an Neubauten und 86 Gigawatt in Form von Laufzeitverlängerungen. Wie viele Kraftwerke das sein werden, ist schwer zu sagen, aber ein Gigawatt entspricht ungefähr einem Atomkraftwerk. Dementsprechend kann man davon ausgehen, dass an mehr als 100 Standorten Neubauten, Erweiterungen oder Laufzeitverlängerungen von Atomkraftwerken in Planung sind, auch wenn wir bezweifeln, dass wirklich so viele neu gebaut werden könnten.
  3. Würde das eine Zu- oder Abnahme der Kapazitäten bedeuten?
    Grundsätzlich würde die Tendenz sinkend sein. Es gibt aber auch Länder, insbesondere in Osteuropa, die überlegen, ihre Kapazitäten zu erhöhen.
  4. Sind diese Pläne aus ökonomischer Sicht nachzuvollziehen?
    Nein, das sind sie nicht. Wenn man bei der ökonomischen Betrachtung alle Kosten einbezieht, das heißt, auch den Rückbau und die Endlagerung der Abfälle, dann sind Atomkraftwerke um ein Vielfaches teurer als andere konventionelle Kraftwerke und noch deutlich teurer als Anlagen für Erneuerbare Energien.
  5. Wie wettbewerbsfähig ist die Atomkraft im Vergleich zu fossilen Kraftwerken?
    Der Betrieb eines Atomkraftwerkes ist eindeutig teurer als der eines Kohle- oder Gaskraftwerks. Dies sieht man auch in Westeuropa, wo Atomkraftwerke früher geschlossen wurden als ursprünglich beabsichtigt, weil es sich wirtschaftlich für den Betreiber nicht mehr gelohnt hat, die Atomkraftwerke am Netz zu lassen.
  6. Wie ist die breite Zustimmung zur Atomkraft in Großbritannien zu erklären?
    Man sieht in Großbritannien an den versprochenen Einspeisetarifen für die Atomindustrie von über 100 Euro pro Megawattstunde, dass der Bau von neuen Atomkraftwerken deutlich teurer ist als der Bau von neuen Anlagen für erneuerbare Energien. Die Zustimmung beruht daher nicht allein auf wirtschaftlichem Interesse, sie ist auch politisch getrieben. Bei den politischen Aspekten sind zusätzlich zu der zivilen Nutzung der Atomkraft auch militärische Aspekte mit einzubeziehen.
  7. Wie sehen die Perspektiven der „transition énergétique“ in Frankreich aus?
    Die „transition énergétique“ ist eine Kehrtwende in der französischen Energiepolitik, weil das erste Mal überlegt wird, den Anteil der Atomenergie zu reduzieren. Damit zeigt Frankreich auf, dass es erkannt hat, dass der frühere Weg der Atompolitik unökonomisch war. Unsere Modellergebnisse zeigen zudem, dass es auch in Frankreich möglich ist, eine vollständige Dekarbonisierung bis zum Jahr 2050 ohne die Atomkraft hinzubekommen. Frankreich ist, wie auch das Vereinigte Königreich, eine Atommacht, scheint aber diesen Aspekt politisch anders zu beurteilen. Wenn sich das Vereinigte Königreich gegen das Neubauprojekt Hinkley Point C entscheiden sollte, würde dies dazu führen, dass in den 2030er Jahren das letzte Atomkraftwerk in Großbritannien vom Netz geht und das Land die Atomtechnologie nicht mehr zivil nutzt. Frankreich hat aber noch nicht beschlossen, komplett aus der Atomenergie auszusteigen. Demzufolge haben sie weiterhin zivile Atomkapazitäten am Netz.

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