„Ich hoffe, dass die Menschen das zu schätzen wissen“
Frage (Mikich): Donald Trumps Sieg hat die große Unzufriedenheit der Amerikaner und eine massive Spaltung innerhalb der Gesellschaft offengelegt. Hat Sie dieses Ausmaß an Wut überrascht?
Antwort: Man sollte das nicht überbewerten, was da geschehen ist. Amerika war ja schon eine Weile politisch tief gepalten. Das zeigt sich in den Problemen, die ich mit dem republikanisch dominierten Kongress hatte. Ungewöhnlich an diesen Wahlen war, dass meine Zustimmungswerte so hoch wie eh und je seit meiner Wahl sind und es der amerikanischen Wirtschaft relativ gut geht. Gleichzeitig aber gibt es eine untergründige gesellschaftliche Spaltung in den USA. Einiges davon hat damit zu tun, dass sich Wirtschaftswachstum und Aufschwung eher in den Städten und urban geprägten Gegenden bemerkbar machen, während in einigen ländlichen Gebieten, vor allem wenn sie von der Fertigungsindustrie abhängig waren, schwächeres Wachstum und Stagnation spürbar wurden. Die Menschen haben das Gefühl, ihren Kindern wird es einmal schlechter gehen als ihnen, und Trump war in der Lage, einige dieser Ängste auszunutzen. Aber, wie ich schon oft gesagt habe, amerikanische Politik ist immer irgendwie wandlungsfähig. Und im Zeitalter der sozialen Medien bedeutet dies, dass Wähler schnell ihre Meinung ändern, mal so und mal so abstimmen. Es gibt vielleicht Millionen Wähler, die für mich gestimmt und diesmal Donald Trump gewählt haben. Das weist einfach darauf hin, dass Wahlentscheidungen weniger ideologisch sind, sondern dem Wunsch folgen, dass sich die Dinge irgendwie ändern sollen.
Frage (Brinkbäumer): Sie mussten während ihrer Präsidentschaft mit einem den Demokraten gegenüber sehr feindlichen Kongress zurecht kommen. Donald Trump kann jetzt mit komfortablen republikanischen Mehrheiten regieren. Glauben Sie, dass Ihre Reformen – Obamacare, das Iran-Abkommen, das Pariser Klimaabkommen – nun allesamt aufgehoben werden, gecancelt werden, wie Donald Trump das nennt? Was wird von Ihrem Erbe bleiben?
Antwort: Nun, zuallererst sollten wir daran erinnern, dass – zumindest aus meiner Sicht – mein wichtigstes politisches Erbe darin besteht, die Welt vor dem Absturz in eine tiefe Wirtschaftsdepression bewahrt zu haben. Vergessen Sie nicht, dass wir bei meinem Amtsantritt in der schlimmsten Krise seit den dreißiger Jahren steckten. Und in Zusammenarbeit mit Leuten wie Bundeskanzlerin Merkel, mit den G20 und anderen internationalen Institutionen konnten wir die Finanzsysteme und die US-Wirtschaft stabilisieren, konnten wir wieder Wachstum erzeugen. Oder das Beispiel Gesundheitswesen: 20 Millionen Menschen, die nie krankenversichert waren, sind heute versichert. Trump sagt, dass er dieses System noch verbessern kann, und wenn er die gleiche Anzahl von Menschen krankenversichern kann, und zwar besser als ich, dann würde ich dies unterstützen. Aber wenn er das wirklich versucht, wird er vielleicht feststellen, dass unser System schon das beste ist, was man sich vorstellen kann. Wahlkampf und Regieren sind zwei vollkommen unterschiedliche Dinge. Ich hoffe und erwarte, dass sich der neue Präsident ungeachtet seiner Aussagen im Wahlkampf mit der Realität auseinandersetzen muss bei seinem zukünftigen Kurs.
Frage (Mikich): In vielen westlichen Gesellschaften beobachten wir eine Entfremdung zwischen Politikern und Bürgern. Bürger fragen sich, wie nah Politiker noch am wirklichen Leben sind, sie haben Ängste. Es ist die Zeit der Populisten. Ist dies ein entscheidender Moment, eine Zeitenwende, in der sich politische Führung bewähren muss?
Antwort: Ich glaube schon. Schauen Sie, ich wurde gewählt, weil ich an Graswurzel-Politik geglaubt habe, an Politik von der Basis aus. Es ist mir gelungen, Menschen zu begeistern und zu Engagement zu motivieren, die vorher nichts mit Politik zu tun haben wollten. Wenn ich wiedergewählt wurde und immer noch relativ beliebt bin, ist dies teilweise der Tatsache zu verdanken, dass die Menschen auch in wirtschaftlich schwierigen und problematischen Zeiten gespürt haben, dass ich Ihnen zuhöre und auf ihrer Seite stehe. Ich glaube, dass alle Politiker sich heute aufmerksamer den Menschen zuwenden müssen, die gehört werden möchten und mehr Kontrolle über ihr Leben wollen. Ich glaube, je stärker wir Bürgerbeteiligung fördern, desto besser geht es uns. Hier in Europa haben zum Beispiel manche Probleme damit zu tun, dass die Strukturen so kompliziert sind. Entscheidungen werden in Brüssel gefällt, im Europäischen Parlament, im Europäischen Rat und durch die einzelstaatlichen Regierungen. Die Menschen haben manchmal das Gefühl, nicht mehr zu wissen, wer eigentlich entscheidet. Je stärker wir sie am Prozess beteiligen, desto besser.
Frage (Mikich): Was war der dunkelste Moment Ihrer Amtszeit? Hier in Europa wurde viel über die Drohnenangriffe, die Sie anordneten, geredet, über Guantanamo und natürlich über Terroranschläge, aber auch Amokläufe.
Antwort: Ich glaube, ganz zu Anfang war den Menschen nicht ganz klar, wie schwer die Wirtschaftskrise tatsächlich war. Zum Teil, weil wir klug reagiert und die totale Katastrophe verhindert haben. Aber es gab Wochen, da wusste ich einfach nicht, ob wir es aus der Krise heraus schaffen. Meine persönlichsten schwersten Momente hatten nicht nur mit terroristischen Angriffen zu tun, sondern mit Amokläufen. Sie werden sich an ein Massaker an einer Grundschule erinnern, Sandy Hook, bei dem zwanzig Sechsjährige von einem verwirrten jungen Mann erschossen wurden. Ich musste dann nur zwei Tage später den Eltern gegenübertreten, die ihre Kinder verloren hatten. Man kann ihren Schmerz kaum in Worte fassen, und er wird mich immer verfolgen. Ich weiß, dass viele Menschen sich Sorgen über Drohnen machen, was verständlich ist. Wenn Sie sich aber anschauen, wie streng wir den Drohneneinsatz eingegrenzt haben, dann haben wir damit Rahmenbedingungen geschaffen, die mit dem Ziel vereinbar sind, an das wir alle denken sollten: nämlich in Zukunft den Verlust von Menschenleben zu minimieren und gleichzeitig in der Lage zu sein, Schläge gegen terroristische Organisationen in Ländern zu führen, die selbst manchmal dazu nicht in der Lage sind. Die Alternative wäre in einigen Fällen, in diese Länder einzumarschieren mit sehr viel mehr Todesopfern. In solchen Situationen haben wir harte Entscheidungen zu treffen. Ich weiß Kritik an unserer Politik zu schätzen, weil sie uns zwingt, uns Fragen zu stellen. Manchmal ist die Kritik vereinfachend oder unrealistisch, aber sie kommt aus guten Motiven. Wir sollten aufpassen, nicht aus Furcht oder Sicherheitsbedürfnis aufzugeben, wer wir sind. Ich glaube, wir haben ein gutes Gleichgewicht gefunden, aber das ist ein laufender Prozess, der nie zu Ende ist.
Frage (Brinkbäumer): Ich würde Ihnen gerne noch eine Frage zur deutschen Kanzlerin stellen. Sie haben Angela Merkel gelobt, aber Sie haben auch die Haltung der Europäer kritisiert, den Amerikanern einen Großteil der Arbeit zu überlassen. Donald Trump hat nun angekündigt, das Engagement der Amerikaner zu reduzieren. Ist dies der Moment, in dem westliche Politiker wie Angela Merkel mehr Führung übernehmen sollten? Antwort: Angela Merkel war während meiner gesamten Präsidentschaft eine herausragende Partnerin für mich und für die USA. Eine ihrer großartigen Qualitäten ist ihre Zuverlässigkeit. Sie analysiert die Lage, sie ist ehrlich. Wir hatten manchmal Meinungsverschiedenheiten, aber die waren immer sehr konstruktiv. Wir gehen immer sehr offen miteinander um und sprechen Konflikte an. Und ich glaube, dass Kanzlerin Merkel und Deutschland eine zentrale Stütze für den Schutz der Grundprinzipien einer freiheitlichen, marktbasierten, demokratischen Ordnung sind, die einmaligen Wohlstand und Sicherheit für Europa geschaffen hat, aber auch für die Welt. Ich verstehe, dass es manchmal große Enttäuschungen gibt – ob mit der Eurozone oder mit der EU. Aber andererseits hat es wohl niemals in der menschlichen Geschichte in Europa so viel Wohlstand und Sicherheit gegeben wie heute. Ich hoffe, dass die Menschen das trotz einiger Probleme, die wir haben, zu schätzen wissen. Und ich hoffe, dass sie Kanzlerin Merkel zu schätzen wissen. Auch wenn sie vielleicht eher als Mitte-Rechts gilt und ich als Mitte-Links, haben wir diese gemeinsamen Grundwerte. Und als dienstälteste Regierungschefin in Europa genießt sie großes Vertrauen. Sie ist am längsten an der Regierung, sie steht für große Glaubwürdigkeit und sie ist bereit, für ihre Werte zu kämpfen. Ich bin froh, dass sie da ist, und die Deutschen sollten sie wertschätzen. Ich schätze sie jedenfalls als Partnerin.
->Quelle: Verschriftlichung des Bundespresseamtes (BG/UH/Li)