Brüssel legt Vorschläge für Energiewende auf den Tisch

Nachfragesteuerung nutzen

Immerhin ist in den Brüsseler Amtstuben auch schon die Kunde von der Digitalisierung angekommen. Auch im europäischen Regierungsviertel hat man endlich erkannt, dass Strom nicht nur erzeugt, sondern auch verbraucht wird und man mit dem Verbrauchsverhalten viel erreichen kann. Deshalb soll auch die Steuerung der Stromnachfrage über entsprechende Preissignale angestoßen werden. Flexible Strompreise auf Viertelstundenbasis können dann Erzeugungs- und Nachfragespitzen kappen. Wärmepumpen, Elektrofahrzeuge, intelligente Haushaltsgroßgeräte oder Anlagen zur Raumklimatisierung würden dann laufen, wenn die Preise niedrig sind, also viel Strom im Netz ist. Dazu müssten die Regierungen der Europäischen Kommission aber entsprechende Regelungen erlassen, dass die Versorger den Kunden Strompreise anbieten, die genauso volatil

Ein positives Signal ist, dass die Kommission vor allem den Ausbau der Erzeugungskapazitäten in den Verbrauchszentren stärken will. Dazu sollen entsprechende Preissignale vom Markt kommen. Das wird beispielsweise die Hardliner in der CSU in Bayern oder in der sächsischen CDU nicht gerade freuen. Denn diese Länder könnten dann nicht mehr davon profitieren, dass der Strom im Norden Deutschlands produziert und über kostenintensive Leitungen nach Süden transportiert wird. Statt dessen müssten die Bayern und Sachsen ihren Widerstand gegen die Windkraft mit einem höheren Strompreis erkaufen oder endlich den Bau von Ökostromanlagen zulassen.

Stromhandel regionalisieren

Zudem will sie den Handel von den internationalen Märkten herab auf die regionale Stufe heben. Lokale Energiekommunen könnten ein effizienter Weg sein, die Energieerzeugung und den Energieverbrauch direkt vor Ort auszuregeln. Deshalb will die Kommission erreichen, dass die Regierungen der Mitgliedsstaaten mit einem entsprechenden Rechtsrahmen sicherstellen, dass solche Energiekommunen sich ungehindert entwickeln können. Jeder Europäer soll ungehindert seinen eigenen Strom erzeugen, selbst verbrauchen und an Dritte verkaufen können. Wie das konkret aussehen soll, bleibt allerdings unkonkret. Ob dazu auch ein Verbot der Behinderung des Eigenverbrauchs von Solarstrom durch Gewerbebetriebe, von Mieterstrommodellen und der Direktbelieferung von Strom unmittelbar an Dritte gehört, wie es die Bundesregierung derzeit praktiziert, ist nicht genau geregelt.

Doch ein Fortschritt ist die Regionalisierung des Energiehandels allemal. Schließlich werden 90 Prozent der variablen erneuerbaren Energien auf der Ebene des Verteilnetzes eingespeist. Auf dieser Ebene wird auch ein großer Teil des Stroms verbraucht. Mit dem Schwerpunkt auf den lokalen Verbrauch des ebenfalls lokal erzeugten Strom und dem Bau von Anlagen in den Verbrauchszentren will die Kommission die steigenden Netzkosten für die Verbraucher einschränken. Außerdem will sie den Kunden mehr Informationen an die Hand geben, wie sie Energie sparen und den Weg zu alternativen Versorgern finden können.

Dämmung allein wird nicht ausreichen

Auch wenn die Vorhaben auf dem Stromsektor noch nicht weit genug gehen, um wirklich die Energiewende in Europa zu schaffen und endlich die fossile und atomare Erzeugung schneller zu beerdigen, bleibt der Plan auf dem Wärmesektor völlig hinter den Möglichkeiten zurück. Denn hier setzt die Kommission einseitig auf Energieeinsparung und Effizienz. Es ist offensichtlich noch nicht in Brüssel die Erkenntnis gereift, dass die Wirkung sämtlicher Effizienzmaßnahmen endlich ist.

Statt hier konsequent auf die Nutzung erneuerbarer Energien zu setzen, sollen die Häuser dick eingepackt werden und das auch noch kosteneffizient. Effizient bedeutet dabei vor allem billig. Das geht aber wiederum nur mit billigen Dämmaterialen. Bevorzugt werden hier Kunststoffe wie Polystyrol oder Polyurethan genommen. Abgesehen von der Tatsache, dass sich Europa auf diese Weise ein neues Entsorgungsproblem aufhalst, das in 30 oder 40 Jahren virulent wird, ist es nicht das energieeffizienteste Material. Immerhin schlagen diese Materialien im Verglich zu Naturdämmstoffen in der Herstellung mit einem immens höheren Energieaufwand zu Buche.

Hier hätte man mehr Mut erwarten können. Immerhin geht das Ziel der Kommission, ab 2021 nur noch Gebäude zu neu zu errichten, die einem Nahe-Null-Energiestandard erfüllen, viel weiter als die jetzigen Pläne. Dabei hätte das Konzept für den konsequenteren Umstieg auf die Gebäudeversorgung mit erneuerbaren Energie – etwa durch das Verbot des Neubaus von fossil betriebenen Wärmeerzeugern – noch nicht einmal riesiger Innovationsschübe seitens der Brüsseler Beamten bedurft. Denn diese Ideen gibt es schon und sind beispielsweise in Dänemark längst in Gesetzesform gegossen. Ob die Kommission die Dekarbonisierung des Gebäudebestands bis 2050 auf diese Weise erreichen wird, bleibt allerdings fraglich. Zudem die Effizienzziele, die jetzt anvisiert werden, mit 30 Prozent weniger Energieverbrauch im Gebäudebestand bis 2030 im Vergleich zu 1990 viel zu gering sind. Dann müssten die letzten 70 Prozent in den darauf folgenden 20 Jahren geschafft werden. Auch der Ausbau der erneuerbaren Ökostromerzeugung soll nicht beschleunigt werden. Die Kommission bleibt bei einem Ökoanteil an der Stromproduktion in der EU von 27 Prozent bis 2030. Auf diese Weise wird die Kommission die Regierungen der Mitgliedsstaaten nicht mit auf den Weg zur Energiewende mitnehmen, sondern sendet von vorn herein das Signal aus, die Energiewende ist verhandelbar. Es bliebt also spannend, was von dem jetzt vorgelegten Maßnahmenpaket am Ende noch übrig bleibt. (Sven Ullrich)

Der Autor Sven Ullrich hat Politologie an der Freien Universität Berlin studiert. Zunächst lag der Schwerpunkt seiner Arbeit auf der Analyse der politischen Systeme Südosteuropas und Deutschlands. Nach einem Aufbaustudium an der Freien Fachjournalistenschule in Berlin ist er seit mehreren Jahren als freier Autor tätig. Er verfasste zahlreiche Beiträge über Photovoltaik und Solarthermie hauptsächlich für das Fachmagazin Erneuerbare Energien, wo er seit 2013 Redakteur für Solarenergie ist.

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