CORRECT!V: „Strompreiserhöhung für Angela Merkel“
Unter dieser Überschrift stellt Justus von Daniels vom Recherche-Kollektiv Correct!v einen Zusammenhang mit den Schiedsgerichten bei TTIP her (wo Vattenfall bereits klagt):
„RWE, E.on und Vattenfall wollen von der Bundesregierung Milliarden dafür haben, dass sie ihre Atomkraftwerke abschalten müssen und zogen dafür vor das Bundesverfassungsgericht. Solche Klagen sollten bei TTIP normal werden, was den Protest vieler Bürger hervorrief. Jetzt gab das Verfassungsgericht den Konzernen zum Teil recht, vor allem wegen des Zick-Zack-Kurses der damaligen schwarz-gelben Bundesregierung: Die drei können auf Entschädigungen für den Atomausstieg hoffen. Die Regierung habe zwar das Recht, den Atomausstieg zu beschließen, allerdings müssten die Energiekonzerne dafür entschädigt werden.“
Merkels Zick-Zack-Kurs
Daniels weiter: „Das Verfassungsgericht gab ihnen jetzt in Teilen recht, schränkte ihre Ansprüche aber weitgehend ein. In ihrer Begründung machen die Richter den Zick-Zack-Kurs der Regierung verantwortlich. Denn erst 2010 hatte die Bundesregierung die Laufzeiten der Atomkraftwerke verlängert. Atomstrom werde als ‚Brückentechnologie‘ für die Energiewende gebraucht, hieß es damals. Die Konzernbosse freuten sich über dieses Geschenk. Nach dem Atomunglück in Fukushima kam dann die Kehrtwende. Angela Merkel verkündete am 11. März 2011 den sofortigen Ausstieg aus der Atomkraft.“
Die Richter hätten nicht jede frustrierte Gewinnerwartung als Schaden an gesehen, nur weil ein Gesetz geändert worden und der Gewinn daraufhin ausgeblieben sei. In diesem Fall habe jedoch ein „besonderer Vertrauensschutz“ für die Stromkonzerne bestanden, weil die Politik die AKW-Laufzeiten erst ein halbes Jahr zuvor verlängert hatte.
Das Verfassungsgericht habe zwar nun entschieden, dass die Investitionen, die zwischen der Laufzeitverlängerung 2010 und dem Ausstieg im März 2011 getätigt wurden, entschädigt werden müssten, es habe den Energieriesen aber auch in einem zweiten Punkt recht gegeben: Vattenfall und RWE hätten für Reststrommengen, die 2002 beim Atomausstieg der rot-grünen Regierung festgelegt wurden, ebenfalls entschädigt werden müssen. Beide Unternehmen hätten auf die damalige Regulierung vertrauen können. Weil beim Ausstieg feste Abschaltzeiten für die Atommeiler beschlossen worden seien, könnten beide Konzerne ihre Strommengen nicht mehr nutzen – so von Daniels.
Die Entscheidung bleibe weit hinter der Verfassungsbeschwerde der Konzerne zurück, auch weil das Gericht gemeint habe, dass Investitionen und Gewinnerwartungen nur sehr eingeschränkt geschützt würden. Statt der erhofften 19 Milliarden Euro könnten die EVU daher allenfalls mit einem Bruchteil rechnen.
Privates Schiedsgericht entscheidet auch noch
Das Verfahren vor dem Verfassungsgericht sei nicht die einzige Auseinandersetzung der Stromkonzerne mit der Regierung, so der Correct!v-Autor. Vattenfall klage auch vor einem privaten Schiedsgericht bei der Weltbank in Washington. Daniels: „Dort könnte das Ergebnis jedoch ganz anders aussehen. Dieses Gericht ist Vorbild für die umstrittenen Schiedsgerichte in den Freihandelsabkommen CETA und TTIP. Befürworter dieser privaten Gerichte führen Vattenfall gern als Beispiel an, warum die internationale Paralleljustiz wichtig sei. Denn bis zuletzt war unklar, ob der schwedische Konzern vor dem Bundesverfassungsgericht in Deutschland überhaupt klagen dürfe. Denn Staatskonzerne dürfen generell keine Verfassungsbeschwerden erheben. Grundrechte stehen nur Bürgern oder privaten Unternehmen zu, nicht aber staatlichen Firmen.“
Doch das deutsche Verfassungsgericht habe bei Vattenfall nun eine Ausnahme gemacht und die Klage zugelassen. Von Daniels: „Damit fällt ein wesentlicher Grund für die Befürworter von Schiedsgerichten weg. Das Parallelverfahren in Washington kann Vattenfall auch nach dem Urteil aus Karlsruhe weiter verfolgen und dort auf weiteren Schadensersatz klagen. Ein internationales Energieabkommen macht das möglich.“
Während Schiedsgerichte konkret entschieden, wie viel Geld einem Geschädigten zusteht, entscheide das Verfassungsgericht zunächst nur, ob das in Frage stehende Gesetz verfassungsgemäß sei. Die Bundesregierung könnte nun zum Beispiel das Gesetz ändern und die Restlaufzeiten für Atomkraftwerke verlängern, um einer Strafzahlung zu entgehen. „Noch hat sich Vattenfall nicht dazu geäußert, ob es seine Klage vor dem Schiedsgericht aufrecht erhält.“
Greenpeace: „Guter Tag für den Atomausstieg“
Für Greenpeace kommentierte Heinz Smital, Kernphysiker und Greenpeace-Atomexperte, das Urteil: „Heute ist ein guter Tag für den Atomausstieg. Die beschleunigte Abschaltung der Atomkraftwerke ist im Wesentlichen mit dem Grundgesetz vereinbar. Das ist die Feststellung des Bundesverfassungsgerichts. Die Karlsruher Richter billigen der Entscheidung aus dem März 2011 überragende Gemeinwohlgründe im Hinblick auf den Schutz der Bevölkerung zu. Die Argumente der AKW-Betreiber wies das Gericht mehrheitlich als unberechtigt zurück. Die überzogenen Entschädigungsansprüche von RWE, E.on und Vattenfall wurden abgelehnt, die Laufzeitverlängerung spielt nach Ansicht der Richter für mögliche Entschädigungszahlungen keine Rolle. E.on geht weitgehend leer aus. Jetzt ist die Bundesregierung gefordert, eine Lösung für den geringfügigen Ausgleichsbedarf zu finden, den die Richter RWE und Vattenfall zugesprochen haben.“
Folgt: ARD-Hörfunk: SPD, Linke und Grüne finden Karlsruher Atom-Urteil ungerecht