Frühzeitige Kenntnis bestritten
Der zurückgetretene VW-Vorstandsvorsitzende Martin Winterkorn stritt vor dem Abgas-Untersuchungsausschuss des Bundestages erwartungsgemäß ab, er habe entgegen jüngsten Meldungen über die Abgasbetrügereien in den USA und anderswo Bescheid gewusst. Medienberichte (siehe solarify.eu/vw-winterkorn-belastet), er sei schon im Juli 2015 informiert gewesen, wies Winterkorn am 19.01.2016 zurück.
„Das ist nicht der Fall“, so der 69-Jährige. „Es ist nicht zu verstehen, warum ich nicht frühzeitig und eindeutig über die US-Probleme informiert worden bin“, fügte Winterkorn hinzu. Den Begriff „defeat device“ (Abschalteinrichtung) habe er „sicher nicht vor September 2015“ gehört. Allerdings hatte sich der allgewaltige VW-Boss stets allwissend in seinem Konzern gegeben.
Winterkorn belastet
Der Skandal war am 18.09.2015 infolge einer Mitteilung der US-Umweltbehörde EPA bekannt geworden. Mehrere Medien hatten aber Winterkorn belastend inzwischen demgegenüber berichtet, dass Techniker des Konzerns bereits in einer Sitzung am 27.07.2015 Winterkorn die Problematik präsentiert hätten. Man sei sich schon im Juli 2015 bewusst gewesen, dass „etwas Illegales in unsere Autos installiert wurde“. Trotzdem sei Winterkorn „erstaunlich ruhig geblieben“. Die Konzernspitze will aber erst im September 2015 davon erfahren haben.
„Ich hätte das nicht für möglich gehalten“, beharrte Winterkorn auf seiner Version – nach Bekanntwerden der Affäre habe man rasch gehandelt. Am Tag danach habe es eine große Telefonkonferenz, einen Tag später eine große Runde mit rund 100 Teilnehmern in Wolfsburg gegeben. Am 21.09.2015 traf Winterkorn Verkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) in München. Dabei habe er darauf hingewiesen, dass VW nicht nur in den USA ein Problem habe, sondern auch im Rest der Welt. Am Tag darauf telefonierte Winterkorn mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU). Am 23.09.2015 trat er nach acht Jahren an der Konzernspitze zurück. Er bezieht heute laut Medienberichten 1.116.000 Euro Betriebsrente im Jahr.
In den USA waren rund 500.000 Diesel-Pkw – weltweit elf Millionen – so manipuliert worden, dass ihr Stickoxidausstoß zwar auf dem Prüfstand unter dem Grenzwerte blieb, nicht aber im realen Verkehr. Für die betreffenden Autos in den USA habe es bereits Anfang 2015 einen Rückruf zur Nachrüstung der Motorsoftware gegeben. Die Ergebnisse reichten den Behörden jedoch nicht.
Winterkorn „erschüttert“ – aber teilweise stumm
Winterkorn zeigte sich erschüttert über die Affäre, und wollte „sich in aller Form entschuldigen“. Er könne die Empörung verstehen. „Das belastet mich ganz besonders“, so der gefallene VW-Boss, der seine Liebe zum Detail und zur Perfektion hervorhob: „Lückenlose Aufklärung war und ist das Gebot der Stunde“. Auch er selbst suche bis heute nach befriedigenden Antworten. Für die Affäre trage er die politische Verantwortung. Er müsse auch akzeptieren, dass sein Name eng mit der Dieselaffäre verbunden sei. Auf einige Fragen verweigerte Winterkorn unter Hinweis auf gegen ihn laufende Ermittlungen wegen Marktmanipulation bei der Staatsanwaltschaft Braunschweig die Antwort.
Abgeordnete unzufrieden
Einige Mitglieder der Ausschusses zeigten sich nach der zweistündigen Befragung unzufrieden – so der Vorsitzende Herbert Behrens (Die Linke), er sagte, seine Glaubwürdigkeit in den Zeugen sei „etwas erschüttert“. Dass Winterkorn den Begriff Abschalteinrichtungen erst im September 2015 erfahren und sich nicht um die Einzelheiten des Rückrufs gekümmert haben wolle, widerspreche dem Eindruck vom detailverliebten Manager.
Auch für die Unionsfraktion sind Fragen offen geblieben. (CSU) sagte, die Frage, wer wann was wusste habe Winterkorn nicht geklärt. „Sehr misstrauisch“ hätten ihn die Aussagen zum Rückruf 2015 gemacht. Es sei wenig schlüssig zu sagen, man habe sich nicht genauer damit befasst. „Diese Fragezeichen sind riesengroß“, betonte Lange. Trotz der Entschuldigung von Winterkorn und den Ermittlungen gegen ihn sei die große Chance vertan worden, gegenüber Politik und Gesellschaft, bei Kunden und Mitarbeitern für echte Aufklärung zu sorgen.
„Bundesregierung mitverantwortlich“
Bei Grünen-Obmann Oliver Krischer hat Winterkorn das Bild vom technikversessenen Top-Manager in Frage gestellt. Entweder wisse Winterkorn nichts oder er rede seine Rolle klein. „Schockiert“ zeigte sich Krischer, dass Winterkorn über Stickoxide und Umweltfragen rede, als wenn es um nebensächliche Dinge gehe. Krischer machte die Bundesregierung wegen „fehlender Überwachungs- und Kontrollsysteme“ mitverantwortlich für den Skandal. (hib/STU)
[note Solarify meint: Niemand darf vor Gericht – und ein Untersuchungsausschuss ist einem Gericht gleichgestellt – gezwungen werden, sich selbst zu belasten. Vielleicht fürchtet Winterkorn auch, dass er seine bescheidene Betriebsrente gefährdet, wenn er weitere Details preisgibt. Doch das kann durch die Ermittlungen samt darauf folgendem Prozess – möglicherweise – noch passieren. Wahrscheinlich ist es nicht. Dass er (und seine Kumpabe bei Audi, Daimler, etc.) die Reputation der gesamten deutschen Wirtschaft im Ausland beschädigt, ist inzwischen schwerlich zu bestreiten.]
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