Warum sind die Arzneimittel im Wasserkreislauf?
Hauptgründe für Gewässerbelastung sind menschliche und tierische Anwendungen sowie die unsachgemäße Entsorgung. So machte Dr. Udo Rohweder vom Institut für Hygiene und Umwelt auf die wesentliche Rolle kommunaler Kläranlagen beim Eintrag von Arzneimittelrückständen in Gewässer aufmerksam. Dabei griff er auf Messdaten der Hamburger Flüsse einschließlich der Elbe zurück.
Kritisch sieht die Biologin Floeter die Situation aufgrund von drei wesentlichen Eigenschaften der Arzneimittel: ihre hohe spezifische Aktivität in lebenden Organismen, der Konsum in wirksamen Konzentrationen und ihre chemischen Stabilität. Je stabiler der Wirkstoff konzipiert ist, desto länger verbleibt er in der Umwelt. Dennoch werde das Trinkwasser nach wie vor nicht auf Arzneimittelgehalte untersucht. Hinzu kommt, dass eine Prüfung aller Stoffe unmöglich ist: 2300 Wirkstoffe zählte das Umweltbundesamt im Jahr 2012, davon sind 1200 Stoffe umweltrelevant und deshalb gewässertechnisch zu erforschen.
Risikobewertung im Zulassungsverfahren
Teil des Zulassungsverfahrens von neuen Arzneimitteln ist eine Risikobewertung nach Umweltgesichtspunkten durch das Umweltbundesamt. Bei der Zulassung von Humanarzneimitteln gibt es seit 2006 eine Umweltrisikobewertung, sie gilt allerdings nur für Neuzulassungen und hat praktisch keine Auswirkung auf die Zulassung. Das potentielle Risiko für die Umwelt wird aus Labormessungen abgeleitet. Dabei wird eine Konzentration ermittelt, bis zu der keine Auswirkungen auf die Umwelt zu erwarten sind. Ein Teilprojekt von PharmCycle unter der Leitung der Ökotoxikologin Floeter evaluiert und optimiert bestehende Testverfahren und entwickelt auf dieser Basis neue Tests für die ökotoxikologische Risikobewertung von Antibiotika. Jens Heseding analysiert in seiner Doktorarbeit in Kooperation mit Prof. Dr. Kümmerer von der Leuphana Universität Lüneburg Umweltrisiken von ausgewählten Antibiotika mit bestehenden und neu entwickelten Biotestverfahren. Antibiotika werden besonders oft verordnet, kommen deshalb häufig in der Umwelt vor und gelten als prioritär, das heißt sie weisen ein erhebliches Risiko für Gewässer auf.
Ziel des Projekts ist es aus diesem Grund, die rechtliche Implementierung der Erkenntnisse voranzubringen, auch um „Alt(-Zugelassene-)Arzneimittel“ zu priorisieren und auf ihr Umweltrisiko hin neu zu bewerten. Dauerhaft sollten Instrumente zur Überwachung der Arzneimittel in Gewässern eingerichtet werden.
Neue Reinigungsverfahren in Kläranlagen
„Wären Sie grundsätzlich bereit, für die Beseitigung vorhandener Medikamentenreste im Abwasser eine höhere Abwassergebühr zu bezahlen?“ Mit dieser Frage begann Prof. Dr.-Ing. Jörn Einfeldt vom Department Umwelttechnik an der HAW Hamburg die Vorstellung seines Teilprojektes bei PharmCycle. Gemeint ist die verfahrenstechnische Optimierung von Kläranlagen. Im Gegensatz zu den Teilnehmern des Symposiums, die diese Frage nahezu einstimmig mit „Ja“ beantworteten, zeigten Umfragen, dass nur knapp über 30 Prozent der Befragten bereit wären, mehr zu bezahlen. Ein Grund dafür, so Prof. Einfeldt, sei der weit verbreitete Glaube, dass vor allem die Abwässer der Pharmaindustrie für die Rückstände in Gewässern verantwortlich seien. Vom Körper nicht verarbeitete und ausgeschiedene Medikamente machten hingegen nur wenige Befragte verantwortlich. Tatsächlich sei aber genau das Gegenteil der Fall.
Ein Ansatzpunkt bei der Verringerung des Eintrages ist die Modifikation der Kläranlagen, die der Umwelttechniker Einfeldt gemeinsam mit seinem Kollegen Prof. Dr.-Ing. Falk Beyer, Leiter des Departments Verfahrenstechnik an der Fakultät Life Sciences, und Doktorand Jan Demmer analysieren und optimieren will. Die Erweiterung der Anlagen um eine vierte Reinigungsstufe erfordere aus verschiedenen Gründen besondere Vorsicht: Eine solche Reinigungsstufe müsse ein möglichst breites Spektrum an Stoffen abdecken, gleichzeitig dürfen dabei keine giftigen Abbauprodukte oder chemische Wechselwirkungen entstehen. Außerdem müsse die Reinigungsstufe wirtschaftlich umsetzbar sein und ohne großen Aufwand in bestehende Anlagen integriert werden können. Ziel dieses Teilprojektes ist es somit, verschiedene Verfahren zu erproben und zu bewerten. Die zu erwartenden Mehrkosten einer solchen Reinigungsstufe pro Person und Monat lägen schätzungsweise zwischen 20 Cent und 1,30 Euro.