Auf Expedition zum neu entdeckten Weltwunder unter Wasser
Greenpeace dokumentiert erstmals das erst 2012 entdeckte gigantische Korallenriff vor der Amazonas-Mündung und versammelt Unterstützer, die sich für den Schutz des Ökosystems stark machen. Man könnte vermuten, die Erde sei mittlerweile bis in den letzten Winkel vermessen, abgebildet und ausgekundschaftet. Dabei birgt sie nach wie vor Geheimnisse, und keineswegs kleine: Vor der Küste Südamerikas, zwischen Französisch-Guayana und dem brasilianischen Bundesstaat Maranhão, haben Forscher in ca. 120 Metern Tiefe ein 970 km langes, 9.500 km² großes zusammenhängendes Unterwassergebiet entdeckt, von einer Fläche wie die Wattenmeer-Schutzgebiete von Schleswig-Holstein, Niedersachsen und der Niederlande zusammen. Das Korallenriff vor Brasilien ist eine wissenschaftliche Sensation – doch es wird von der Ölindustrie bedroht.
[note Das Amazonasriff (portugiesisch Recife Amazonas, englisch Amazon oder Amazonian Reef) ist ein großflächiges Kalkalgen- und Schwammriffsystem vor der Küste von Nord-Brasilien und Französisch-Guayana – eines der größten Riffsysteme der Welt. Im April 2016, nach einer ozeanographischen Studie der Region aus dem Jahr 2012, die sich auf wenige, aber deutliche Anzeichen auf Hartböden und Riffstrukturen vor dem Flussdelta des Amazonas bezog, wurde seine Entdeckung bekanntgegeben. Anzeichen waren bereits seit den 50er Jahren bekannt. (nach Wikipedia)]
Der Fund war eine wissenschaftliche Sensation. Denn dass sich ein derart gewaltiges Korallenriff – und damit Leben – ausgerechnet an dieser Stelle befindet, ist ausgesprochen unwahrscheinlich. Korallen brauchen normalerweise einen sehr speziellen Lebensraum: Dazu gehören ein Salzgehalt zwischen 3,45 und 3,64 Prozent und Temperaturen zwischen 24,5 und 28,3 Grad Celsius – deshalb bedroht die fortschreitende Erderwärmung auch das Great Barrier Reef.
Buchstäblich einzigartig – Ölbohrungen drohen
Doch das Riff in der Amazonas-Mündung ist anders: Es liegt in einem Gebiet, in dem sich das Süßwasser des Flusses mit dem Salzwasser des Atlantiks mischt, 100 bis 250 Kilometer vor der Küste Brasiliens. Das Wasser ist aufgrund der Schwebstoffe aus dem Flussbett so trüb, dass wenig Sonnenlicht zu den Korallen durchdringt, Photosynthese, also die Umwandlung von anorganischen in organische Stoffe mittels Licht, ist an vielen Stellen nicht möglich. Ein Riff wie dieses gibt es nach bisherigem Wissensstand kein zweites.
Forscher veröffentlichten die bahnbrechende Erkenntnis, dass sich an der Mündung des Amazonas ein Unterwasserriff befindet, im April 2016. Allerdings wird bereits seit Jahrzehnten vermutet, dass an dieser Stelle Außergewöhnliches vor sich geht: 1975 stieß ein amerikanisches Forschungsschiff in dem Gebiet auf Fischgattungen, die nur an Korallenriffen vorkommen, außerdem bemerkten die Wissenschaftler eine merkwürdige Häufung von Schwämmen. Sie stellten ihre Beobachtungen 1977 auf einem Symposium vor, ein Beweis, dass sich unter der Wasseroberfläche ein Riff befindet, fand sich nicht – bis vor kurzem.
Im Tauchgang auf Tuchfühlung
Ein internationales Team aus Greenpeace-Aktivisten und den Wissenschaftlern, die den Fund veröffentlichten, ist mit dem Aktionsschiff Esperanza unterwegs und dokumentiert das Naturwunder erstmals. Ein Unterseeboot bringt die Mannschaft ganz nah heran: Die Forscher und Aktivisten wollen vor Ort verstehen,wie dieses einzigartige Ökosystem funktioniert. Mit an Bord des Greenpeace-Schiffs Esperanza sind mehrere Wissenschaftler, unter anderem jene, die das Amazonas-Riff im April 2016 entdeckten. Nur etwa fünf Prozent der Rifffläche sindbisher kartiert. Mithilfe eines Tauchboots konnte Greenpeace in den vergangenen Tagen die ersten Unterwasserfotos und -videos überhaupt aufnehmen. Für Greenpeace Deutschland nimmt Sandra Schöttner derzeit an einer Tauchfahrt im nördlichen Riffgebiet teil, um dieses einzigartige Ökosystem zu erkunden.
Ausgerechnet in dieser Region will sich nun aber auch die Ölindustrie ausbreiten: Gefahr droht dem bisher einzigartigen Ökosystem und den nahgelegenen Schutzgebieten durch Firmen wie BP und Total – sie planen, in der Region zu bohren. Die Flora und Fauna des Riffes wird durch die Erdölexploration mehr als durch den Klimawandel gefährdet. Im 21. Jahrhundert hat die brasilianische Regierung mehr als 80 Blöcke für die Ölgewinnung lizenziert, davon sind bereits 20 in Produktion. Total hat vor, in nur acht Kilometern Entfernung zum Riff nach Öl zu suchen, auch BP, der britische Mutterkonzern der deutschen Firma Aral, bereitet Bohrungen vor. Ein solches Industriegebiet vor der Küste Brasiliens würde das Leben unter Wasser beeinträchtigen und die Unversehrtheit des Riffs gefährden – dazu bräuchte es nicht einmal den Extremfall eines Lecks: Der Lärm der Arbeiten und der Aushub der Bohrlöcher belasten das Ökosystem bereits. Eine Umweltverträglichkeitsprüfung für die Bohrstellen hat zwar stattgefunden, allerdings vor der Entdeckung des Riffs….
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