Seen und Flüsse drohen auszutrocknen
Die Studie „Paradise Lost? Developing Solutions to Irans Environmental Crisis“ der Heinrich-Böll-Stiftung und der Small Media Foundation widmet sich der iranischen Umweltkrise und analysiert Ursachen, Auswirkungen und Handlungsstrategien – vor allem von zivilgesellschaftlichen Akteuren.
Bauke Baumann (Referent Naher Osten und Nordafrika, Iran bei der Böll-Stiftung) erläuterte am 25.01.2017 auf der Böll-Webseite den Inhalt der Studie: „Iran ist mit massiven Umweltproblemen konfrontiert. Die akute Wasserknappheit droht weite Landstriche in Zukunft unbewohnbar zu machen. Der Grundwasserspiegel sinkt stetig ab, große Flüsse und Seen trocknen aus. Der größte See im Nahen Osten, der Urmia-See im Nordwesten Irans, ist in den letzten Jahren um gut 12 Prozent geschrumpft – dieser Rückgang entspricht in etwa der Fläche des Bodensees.“ Mithilfe von Sekundärdaten, Umfragen und Interviews mit iranischen Entscheidungsträgern, Aktivisten und Experten zeichnet die Studie das Ausmaß der Umweltprobleme Irans nach.
Die Wasserknappheit ist menschengemacht
Hauptursache der Wasserknappheit ist die jahrelang weitgehend ungesteuerte Ausbeutung der Grundwasservorräte, vor allem durch die Landwirtschaft: sie verbraucht gut 90 Prozent davon. Die zuständigen Behörden begünstigten diese extensive Wassernutzung durch Subventionen für Farmer auf Energie und Wasser und duldeten illegale Brunnenbohrungen. Die Effizienz der Bewässerungstechnik ist entsprechend gering. Ironischerweise leiden nun genau die Landwirte, darunter vor allem arme Kleinbauern, am stärksten unter der Wasserknappheit.
Mittlerweile habe die iranische Regierung zwar das Ausmaß des Problems erkannt. Es fehle aber an Strategien, um die Wasserknappheit in den Griff zu bekommen. Das liege einerseits an den unklaren Zuständigkeiten und Befugnissen der befassten iranischen Behörden, also dem Landwirtschaftsministerium, dem Energie- und Wasserministerium und der Umweltbehörde. Experten glaubten, dass die Wasserknappheit nur durch drastische Reduzierung des Wasserkonsums – und damit Verringerung der landwirtschaftlichen Produktion – nachhaltig lösbar sei. Das wäre allerdings äußerst unpopulär, gerade im ländlichen Raum, wo die Existenz vieler Kleinbauern bedroht wäre.
Die Umweltkrise rückt zunehmend in den Fokus
Gleichzeitig zeigten die Meinungsumfragen der Studie, dass das Umweltbewusstsein in den vergangenen Jahren stark zugenommen hat. Knapp 70 Prozent der Bafragten hätten sich besorgt über den schlechten Zustand der Umwelt in Iran gezeigt. Während sich 2004 noch eine deutliche Mehrheit wirtschaftliche Herausforderungen für wichtiger als Umweltfragen angesehen habe, bewerte die Mehrheit heute Wirtschaft und Umwelt gleich.
Das große Interesse an umweltpolitischen Themen spiegle sich auch in den zahlreichen zivilgesellschaftlichen Initiativen und Kampagnen wider, die sich zumeist online für einen verantwortungsvollen Umgang mit natürlichen Ressourcen einsetzten. Über Facebook, Telegram und Instagram starteten Aktivisten Kampagnen gegen Luftverschmutzung, Abholzung und Artensterben, natürlich auch gegen die Ausbeutung der Grundwasservorräte und erreichten damit regelmäßig mehrere zehntausend Menschen im Iran.
Ein gutes Beispiel hierfür – so die Studie – sei die Online-Kampagne „A Drop of Water“, mit der die Bevölkerung über die nationale Wasserkrise aufgeklärt und für die Folgen sensibilisiert werden soll. Hierfür nutzen die Macher u.a. Infographiken, Fotos und kurze Texte. Für Aktivisten ohne institutionelle Anbindung biete die Webseite Flyer und Poster zum Selbstausdrucken und Aktivwerden an.
Wie bei den meisten Online-Kampagnen bleibe allerdings (absichtlich) unklar, wer dahinter stehe, denn so schützten sich die Initiatoren vor potenziellen Repressalien. Die Anonymität erschwere es aber, die Mobilisierung für umweltpolitische Themen auf die Straße zu bringen. Gleichwohl seien die Aktivisten von „A Drop of Water“ und anderen Kampagnen „erstaunlich wirkmächtig“. Zeitungen berichteten darüber und Prominente setzten sich öffentlich für das Anliegen der Kampagne ein. Angesichts dieser Popularität von Umweltthemen nähmen sich auch mehr und mehr iranische Politiker des Themas an. Im Parlamentswahlkampf 2016 hätten Umweltthemen eine erstaunlich prominente Rolle gespielt.
Alle Akteure benötigen mehr Expertise
Um den Grundwasserspiegel zu stabilisieren und den Urmia-See und andere Binnengewässer besser zu schützen, empfiehlt die Studie, die nationale Umweltbehörde zu stärken und die engere Zusammenarbeit zwischen Staat und Zivilgesellschaft. Zudem attestieren die Autoren sowohl den Behörden als auch den zivilgesellschaftlichen Initiativen hohen Bedarf an mehr Umweltfachwissen.
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