Klimaflucht als Unterrichtsthema
So viel aktuell über Grenzzäune und akute Hilfe für Flüchtende, über die Abschottung vor ihnen und schmutzige Deals mit Menschenrechtsverächtern debattiert wird, so wenig werden die Ursachen der Flucht diskutiert. Diese können in wenigen Begriffen zusammengefasst werden: Hunger, Not und Tod. Über Krieg und Zerstörung als Grund für die aktuellen starken Fluchtbewegungen, wird der Stellenwert der Energie- und Klimapolitik oft übersehen. Dabei steht die Klimaflucht erst am Anfang: Gegen sie wird die Zahl der Kriegsflüchtlinge aus dem Nahen Osten vernachlässigbar sein. In Österreich könnte die Klimaflucht jetzt zum Unterrichtsthema werden.
Fossile Energiequellen, ihr Kampf darum und die von ihnen verursachten Treibhausgase sowie der daraus resultierende Klimawandel haben großen Anteil an den weltweiten Fluchtbewegungen. Die Lösung liegt in den Erneuerbaren Energien. Sie tragen wesentlich zur Milderung und Beseitigung dieser Fluchtursachen bei.
Fossile Energie als Fluchtursache
Die meisten aktuellen Kriege hängen direkt oder indirekt mit fossilen Energien zusammen und werden aus deren Erlösen finanziert. „Erdöl ist die Hauptfinanzquelle des selbsternannten IS, von Al Qaida und Boko Haram, von Syriens Präsident Assad oder den einander bekriegenden sudanesischen Machthabern“, sagt der Energie-Experte und Präsident der Energy Watch Group, Hans-Josef Fell und ergänzt: „Der verstärkte Ausbau Erneuerbarer Energien und der Ersatz fossiler Energieerzeugung können wesentlich zur Beseitigung und Milderung jener Probleme beitragen, die weltweit Millionen Menschen zur Flucht zwingen.“
Flucht durch den Klimawandel
Neben den infolge der Abhängigkeit von fossilen Energiequellen entstehenden Konflikten (und dem Geschäft mit ihnen) bewirkt die Nutzung von Öl, Kohle und Erdgas vor allem den Klimawandel. Dieser ändert in manchen Regionen der Erde das Lebensumfeld so dramatisch, dass bereits heute viele Menschen zur Flucht gezwungen werden. „Schaffen wir es nicht, den Klimawandel einzudämmen, werden zukünftig noch weit mehr Menschen keine Hoffnung auf Zukunft in ihrer Heimat mehr haben und sich gezwungen sehen, diese zu verlassen“, betont Kilian Kleinschmidt, Internationaler Netzwerker, humanitärer Experte und Berater des österreichischen Innenministeriums.
[note Hans-Josef Fell. „Die Interessengemeinschaft Windkraft (IG Windkraft, St. Pölten, Österreich) hat Unterrichtsmaterialien zum Klimawandel, zum Kampf um Ressourcen und Fluchtursachen veröffentlicht. Entstanden ist ein Leitfaden für Lehrer, der aufzeigt, wie an die Verknüpfung dieser drei Themen herangegangen werden kann. Das Projekt wurde vom österreichischen Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft unterstützt. Die Schüler sollen im Unterricht eine Verbindung der drei Probleme herstellen, Zusammenhänge erkennen und spielerisch Lösungen suchen können. „Klimawandel, der Kampf um Energieressourcen und Flüchtlingsströme: Wie können wir diesen großen Herausforderungen unserer Zeit begegnen? Unter anderem mit Anpassungsmaßnahmen, Energieeinsparung und dem möglichst raschen Umstieg auf erneuerbare Energien!“, wird zu Beginn betont. Es ist wichtig, dass diese Themen schon jungen Menschen mit auf den Weg gegeben werden. Denn sie werden es sein, die am Ende schaffen, was unsere Generation nicht geschafft hat.“ Kostenloser Download als PDF.]
250 Millionen bis 2050 – oder mehr?
Es ist schwer abzuschätzen, wie viele Menschen durch den Klimawandel ihre Heimat verlieren werden. Die meisten Prognosen befürchten 250 Millionen Klimaflüchtlinge bis Mitte des Jahrhunderts. Aber schon heute sind Millionen Menschen betroffen: Zwischen 2008 und 2016 haben 184 Mio. Menschen aufgrund von klimawandel-bedingten Extremwetterereignissen ihr Zuhause verloren, zu 95 % waren es Menschen in so genannten Entwicklungsländern. Allein 2014 mussten etwa 19,3 Mio. Menschen vor den Folgen von Klima- und Wetterextremen flüchten mussten. Dazu kommen jene, die ihre Heimat verlassen, weil Dürren zu Nahrungsmittel-Engpässen führen, weil das Wasser knapp wird oder weil sie der steigende Meeresspiegel bedroht. Vor allem Menschen, die auf kleinen Inseln, in niedrig gelegenen Flussdeltas oder Küstenmetropolen leben, sind vom Anstieg des Meeresspiegels betroffen.
Höhere Springfluten, die tiefer ins Landesinnere vordringen sowie Böden und Brunnen versalzen, zwingen die Menschen zur Abwanderung, längst bevor ihre Wohngebiete im Meer verschwinden. „Millionen Menschen sind durch den Klimawandel in ihrer Existenz bedroht. Wir dürfen nicht zusehen, wenn Hunger, Not und Leid um sich greifen. Jetzt können wir noch handeln: Steigen wir endlich aus fossiler Energie aus und geben wir den verzweifelten Menschen die Hand, die wenig bis nichts zum Klimawandel beigetragen haben und jetzt die Suppe auslöffeln sollen, die wir ihnen eingebrockt haben“, forderte Johannes Wahlmüller, Klimasprecher der österreichischen Umweltschutz-Organisation GLOBAL 2000.
[note „Was sind denn Klimaflüchtlinge? Wenn in Darfur im Westen Sudans der Boden knapp wird, weil die Wüsten sich ausbreiten, wenn es dann zu Kriegen zwischen den Volksgruppen um Boden und Wasser kommt und Millionen Menschen zur Flucht gezwungen werden – sind das Klimaflüchtlinge? Was ist mit den Bewohnern des Inselstaats Tuvalu, die aufgrund des steigenden Meeresspiegels Asyl in Neuseeland beantragen? Sind das Klimaflüchtlinge? Völkerrechtlich ist noch gar nicht geklärt, wie man mit diesem Begriff umgehen soll.“ Harald Welzer, Sozialpsychologe in proasyl.de/Klimabroschüre]