Journalismus: Keine „ausgewogene Berichterstattung“ zwischen Wissenschaft und Behauptungen mehr
Um beide Seiten von (oft nur vermeintlichen) Debatten abzubilden, hätten viele Medien lange Zeit Leugner oder Skeptiker des menschengemachten Klimawandels zu Wort kommen lassen. Das sei nun vorbei, schreibt ein deutsch-schweizerisches Forscherteam im Fachblatt Global Environmental Change (Januarausgabe) – so Toralf Staud im Portal klimafakten.de. Die „Norm der Balance“ sei einer „interpretativen“ Haltung gewichen. Doch einige konservative Blätter böten Leugnern weiterhin Raum.
Bekanntlich zweifelten unter Klimawissenschaftlern nur noch eine Handvoll an der anthropogenen Erderwärmung – noch weniger lehnten ihre Verursachung durch den Menschen in Bausch und Bogen ab. In den Medien hingegen fänden sich immer noch regelmäßig Zweifel am Klimawandel. Die gängige Erklärung dafür sei lange Zeit gewesen, dass Journalisten der Grundregel folgten, ausgewogene Berichte zu schreiben (gemäß der römischen Rechtsformel „audiatur et altera pars“ – es soll auch die Gegenseite gehört werden): also stets Vertreter „beider Seiten“ der jeweiligen Auseinandersetzung zu Wort kommen ließen – dabei aber Mehrheitsverhältnisse oder Seriösität der Argumente vernachlässigten (so bereits ein Artikel in Global Environmental Change von 2004).
Heute jedoch sei dies nur noch selten der Fall, schreiben die beiden Kommunikationsforscher Michael Brüggemann (Universität Hamburg) und Sven Engesser (Universität Zürich). „Der Klimajournalismus“, so ihr Fazit, „hat die Norm der Balance hinter sich gelassen und folgt einem mehr interpretativen Muster.“
UN-Gipfel und nationale Politik wichtige Anstöße für Artikel zum Klima
Für die Studie wurde Medienberichterstattung rund um den Klimawandel in fünf Ländern analysiert (USA, Großbritannien, Deutschland, Schweiz, Indien). Ausgewählt wurden jeweils große und kleinere Zeitungen, darunter Qualitäts-, Boulevard-, Regionalblätter sowie Online-Medien (in Deutschland wurden beispielsweise FAZ, Süddeutsche Zeitung, Bild, Berliner Zeitung und Spiegel-Online untersucht). Insgesamt wurden 936 Artikel analysiert, parallel einige der Autoren dieser Texte befragt.
Beobachtungszeitraum waren die beiden Jahre 2011 und 2012 – eine Phase, in der keine so bedeutenden UN-Klimagipfel wie Kopenhagen oder Paris stattfanden und der Weltklimarat IPCC keinen großen Weltklimabericht veröffentlichte. Als „Periode mäßiger und routinehafter Klimaberichterstattung“ bezeichnen die beiden Forscher daher den Zeitraum. Doch selbst die wenig spektakulären UN-Gipfel beider Jahre (Durban und Doha) sorgten für immerhin 18 Prozent aller Klimaartikel – ein weiterer Beleg, dass politische Ereignisse bedeutende Anlässe für Klimakommunikation liefern. Häufigster Gegenstand der Berichterstattung waren im Untersuchungszeitraum neue Forschungsergebnisse (32 Prozent), relevant waren zudem politische Entscheidungen nationaler Regierungen (16 Prozent) und Extremwetterereignisse (sechs Prozent).
Folgt: Meist werden Leugner des Klimawandels zitiert, um sie zu widerlegen