„Grenzwerte dienen nicht nur der Atemluft im Prüflabor, sondern der Gesundheit der Bürger“
Volkswagen hat nichts dazugelernt, so die Deutsche Umwelthilfe (DUH) in einer Medienmitteilung vom 05.04.2017 – jetzt versuchen die Wolfsburger – ohne vorherige Abmahnung und ohne mündliche Verhandlung, per Einstweiliger Verfügung der DUH untersagen zu lassen, die Wirksamkeit und Rechtmäßigkeit des Softwareupdates eines VW Golf mittels Betrugssoftware zu bewerten – und das mit einer abenteuerlichen Begründung.
Die Korrektheit der Diesel-Abgaswerte von 602 mg NOx/km nach dem Softwareupdate bei realen Straßenmessungen wird von VW nicht einmal bestritten, die DUH darf die Werte lediglich nicht veröffentlichen. Die DUH dokumentiert untersagte Textpassagen in ihrer weiterhin online abrufbaren Pressemitteilung durch schwarze Balken und kündigte Widerspruch gegen die Einstweilige Verfügung an
Vorlauf
Im Januar 2016 erwirkte die Stuttgarter Daimler AG vor dem Landgericht Berlin eine Einstweilige Verfügung gegen die Deutsche Umwelthilfe (DUH) zur Verhinderung der Veröffentlichung eines Schreibens des Rechtsanwalts der Daimler AG. Die Einstweilige Verfügung wurde drei Monate später vom Landgericht Berlin aufgehoben, die DUH gewann schließlich im Dezember 2016 auch das Hauptsacheverfahren vor dem Landgericht Hamburg gegen Daimler-Anwalt Prof. Schertz (AZ 310 O 124/16). Dieses Urteil ist zwischenzeitlich rechtskräftig.
Mit Datum 03.04.2017 erwirkte nun mit der Volkswagen AG ein zweiter großer deutscher Autokonzern eine Einstweilige Verfügung gegen die DUH und deren Bundesgeschäftsführer Jürgen Resch vor dem Landgericht Düsseldorf. Für den Fall der Zuwiderhandlung ist ein Ordnungsgeld bis zu 250.000 Euro oder Ordnungshaft bis zu 6 Monaten angedroht. Die Einstweilige Verfügung erging ohne vorherige Abmahnung und ohne mündliche Verhandlung. Anlass ist die Veröffentlichung von nach Ansicht der DUH erschreckenden Messwerten aus realen Abgasmessungen und die darauf beruhende Bewertung von Wirksamkeit und Rechtmäßigkeit des Software-Updates eines VW Golf mit einer vom Kraftfahrt-Bundesamt festgestellten illegalen Abschalteinrichtung.
VW bestreitet Messwerte nicht einmal
Die von der DUH bei realen Straßenmessungen festgestellten und in der angegriffenen DUH-Pressemitteilung vom 14.03.2017 veröffentlichten hohen Stickoxid-Messwerte eines VW Golf Variant vor und nach dem im Rahmen des amtlichen Rückrufes getätigten Software-Updates werden interessanterweise von VW nicht bestritten. Der DUH werden aber bis auf weiteres insgesamt zehn Aussagen zur Wirksamkeit und Rechtmäßigkeit des Software-Updates untersagt.
DUH-Bundesgeschäftsführer Jürgen Resch zieht aus dem Schritt von VW einer Medienmitteilung folgend den Schluss, dass die DUH mit ihren Abgasmessungen „ganz offensichtlich ins Schwarze getroffen“ habe. Anders sei diese Reaktion nicht erklärbar: „Mit unserer zeitgleich Mitte März vor dem Verwaltungsgericht Schleswig eingereichten Klage gegen das Kraftfahrt-Bundesamt wollen wir unter anderem klären, ob die bisher gegen die Volkswagen AG in Deutschland erlassenen Maßnahmen rechtmäßig sind. Wir werden es nicht hinnehmen, dass VW versucht, uns offenkundig auch für diesen Prozess den Mund zu verbieten. Nach dem Europarecht ist es eindeutig, dass die Grenzwerte nicht nur der Atemluft im Prüflabor dienen, sondern vor allem der Gesundheit der Bürger.“
Der Maßstab für die DUH ist die europäische Gesetzgebung, die eine „ordnungsgemäße Abgasreinigung“ nicht nur während der 20-minütigen Laborprüfung sondern ausdrücklich in normal use, d.h. unter normalen Straßenbedingungen, im heißen Sommer wie im kalten Winter, verbindlich vorschreibt und Abschalteinrichtungen, wie bei Volkswagen festgestellt, als illegal verbietet.
VW mit eigener Wahrheit
Wie wenig Volkswagen tatsächlich dazugelernt habe, zeigt nach Ansicht der DUH auch der Begründungstext des Antrags auf Erlass der Einstweiligen Verfügung: Darin stelle VW den behördlicherseits festgestellten Betrug an Millionen Kunden und den vom KBA angeordneten Rückruf als ‚Angebot an die Kunden, ihre von der ‚Diesel-Thematik‘ betroffenen Dieselfahrzeuge – trotz fehlender Gebrauchsbeeinträchtigung … technisch überarbeiten zu lassen“. Darüber hinaus behaupte VW fälschlicherweise, „für die Einhaltung der Emissionsgrenzwerte (seien) allein die unter Laborbedingungen gemessenen Werte maßgeblich, während Werte, die im realen Fahrbetrieb gemessen werden, vollkommen unbeachtlich sind“.
Resch: „Der Wolfsburger Autokonzern hat immer noch nicht verstanden, dass die EU-Abgasgesetzgebung zum Schutz der Gesundheit der Menschen und nicht zur Legitimierung betrügerischer Praktiken der Diesel-Pkw Hersteller erlassen wurden. Wir lassen uns jedenfalls weder von Daimler noch Volkswagen einschüchtern und werden weiterhin die realen Abgasemissionen untersuchen, rechtlich bewerten und gegen festgestellte Verstöße rechtlich vorgehen.“.
Die DUH will Widerspruch gegen die Einstweilige Verfügung einlegen und ist zuversichtlich, nach der mündlichen Verhandlung alle zehn Bewertungen weiter veröffentlichen zu können. Sie dokumentiert die untersagten Textpassagen in ihrer weiterhin online abrufbaren Pressemitteilung durch schwarze Balken und veröffentlicht auch den Prüfbericht mit Einzelmessungen.
Solarify denkt nostalgisch zurück: Früher gab es die Grundsätze des ehrbaren Kaufmanns; da galt zum Beispiel der Satz: „So etwas tut man nicht“. Wer dagegen verstieß, wurde mit Ansehensverlust bestraft. Das ist – nicht nur in Wolfsburg – lästiger Ballast der Vergangenheit. Längst ist – postfaktische Zeiten – die Lüge gesellschaftsfähig geworden. Und VW stellt keine Ausnahmedar: Die Welt zitierte am 05.04.2016 eine europaweite Unternehmensbefragung zur Wirtschaftskriminalität – darin habe Deutschland katastrophale Ergebnisse „erzielt“ – ja, die Umfrage offenbare „einen kriminellen Abgrund“. Die Erklärung sei vor allem für die Top-Etagen der Wirtschaft wenig schmeichelhaft: 43 Prozent der Mitarbeiter deutscher Unternehmen, die befragt worden seien und geantwortet hätten, sagten, Bestechung und korrupte Methoden seien im Geschäftsleben hierzulande weit verbreitet. Der Wert habe sich innerhalb zweier Jahre (damals 26 Prozent) drastisch erhöht. In Westeuropa sei er dagegen seit 2015 von 35 auf 33 Prozent zurückgegangen.
->Quelle: duh.de/volkswagen-untersagt-deutscher-umwelthilfe-bewertung